Zwischen religiöser Verehrung und drohendem Kollaps

Ganges – Der heilige Fluss

Eintauchen in den Ganges © Martin Atzenhofer

Über 2.700 Kilometer fließt der Ganges durch Indien und Bangladesh. Für einige hundert Millionen Menschen ist er daher Lebensader.

Besondere Bedeutung kommt dem Strom im Hinduismus zu. Hier gilt der Ganges als heiligster Ort der Welt. Alljährlich pilgern unzählige Menschen an die Ufer des Flusses, um sich mit seinem Wasser von ihren Sünden rein zu waschen.

Doch der Ganges ist keineswegs so rein wie seine religiöse Bedeutung. Im Gegenteil er zählt zu den sieben am stärksten verschmutzten Flüssen der Welt. Und nicht zuletzt durch verheerende Überschwemmungen wird der Ganges für viele auch zum Fluch….

Anne Gnauk
Stand: 27.06.2001

Das Wichtigste in Kürze

Facts

  • Über 2.700 Kilometer fließt der Ganges durch den Norden Indiens und mit dem größten Delta der Welt durch den kleinen asiatischen Staat Bangladesh. Hier bestimmt er das tägliche Leben und für die Anhänger des Hinduismus ist der Ganges der heiligste aller Flüsse.
  • Indien ist ein Land der Gegensätze in vielerlei Hinsicht. Das siebtgrößte Land der Welt hat mit seiner Einwohnerzahl vor knapp zwei Jahren die Milliardengrenze durchbrochen. Weite Teile des Landes gelten daher als überbevölkert. Die soziale Struktur ist zudem durch eine große Heterogenität gekennzeichnet. Hunderte von Sprachen und nahezu alle Religionen sind auf diesem Teilkontinent vertreten.
  • In der kleinen Volksrepublik Bangladesh leben auf einer Fläche von knapp 150.000 Quadratkilometern über 120 Millionen Einwohner. Das Land zählt damit zu den am dichtesten besiedelten Ländern der Welt.

Der heilige Ganges

  • Laut der indischen Mythologie wurde der Fluss den Menschen von der Fruchtbarkeitsgöttin Ganga geschenkt. Er verkörpert daher die Kraft der Götter und sein Wasser ist heilig. Ein Bad im Ganges erlöst die Menschen somit von ihren Sünden.
  • Die Hindus pilgern daher regelmäßig zum heiligen Fluss. Eines der größten Feste findet alle zwölf Jahre in der Nähe der Stadt Allahabad statt, das indische Pilgerfest Kumbh Mela. Am 24. Januar 2001 nahmen hier etwa 30 Millionen ihr erlösendes Bad im Ganges.
  • Viele Gläubige pilgern in die heiligste Stadt Indiens nach Varanasi. Die ist aber nicht nur die Stadt, in der sich die Lebenden durch Waschungen von ihren Sünden befreien, sie hat vor allem eine zentrale Bedeutung für die Sterbenden. Wer hier stirbt, entgeht dem Glauben nach dem Kreislauf der Wiedergeburt und steigt mit einer reinen Seele zum Höchsten auf.

Der Fluss in Gefahr

  • Die Hindus glauben ein Bad im Ganges reinigt ihre Seele. Doch mit dieser Waschung setzen sie ihre Körper einer hochgradigen Verseuchung aus, denn der Ganges zählt zu den sieben am stärksten verschmutzten und gefährdeten Flüssen der Welt. Der Fluss ist voll mit Industrieabwässern, Hausmüll, Plastiksäcken und nicht selten treiben faulende Leichen den Strom entlang.
  • Die indische Regierung stellte daher 1985 den National River Action Plan auf. In zwei Phasen sollten zahlreiche Städte entlang des Flusslaufes Kläranlagen erhalten. Die Ziele wurden jedoch nicht erfüllt. Viele der gebauten Anlagen sind zudem gar nicht in Betrieb.
  • Die Verschutzung wirkt sich auch auf den Fischbestand im Fluss aus, der sich immer weiter reduziert. Viele Arten, wie zum Beispiel der Ganges-Delfin, sind vom Aussterben bedroht. Die internationale Organisation „Whale and Dolphin Conservation Society“ (WDCS) hat daher ein Projekt ins Leben gerufen, dass die Delfine vor dem Tod bewahren soll.

Der Fluss bringt Gefahr

  • Bangladesh ist bestimmt vom gemeinsamen Mündungsdelta des Ganges und Brahmaputra. Zum einen bringt es fruchbares Schwemmland, zum anderen aber auch alljährliche Überschwemmungen. In kaum einem anderen Land der Welt gibt es so viele und verheerende Überschwemmungen wie in Bangladesh.
  • Zwei Länder ein Fluss – das birgt die Gefahr eines Konflikts. Seit über 40 Jahren schwellt ein Streit zwischen Indien und Bangladesh um das Ganges-Wasser. Der größte Konfliktpunkt ist der Farakka-Staudamm, nur 18 Kilometer von der Grenze zu Bangladesh entfernt. Er dient dazu den Wasserpegel auf indischer Seite besser zu regulieren. Seit 1996 soll ein Abkommen zwischen beiden Ländern die Nutzung des Farraka-Staudamms regeln.


Stand: 30.06.2001

Der Ganges und sein Lauf vom Himalaja bis zum Golf von Bengalen

Ein Fluss bahnt sich seinen Weg

Über 2.700 Kilometer fließt der Ganges, der in den einheimischen Sprachen als Ganga bezeichnet wird, durch den Norden Indiens und den kleinen asiatischen Staat Bangladesh. Hier bestimmt er das tägliche Leben. Für die Anhänger des Hinduismus, die Hauptreligion in diesen Ländern, ist der Ganges der heiligste aller Flüsse.

Oberlauf Ganges © Till Dohmann

Er entspringt im Himalaja etwa 4.000 Meter über dem Meeresspiegel. Dort entstehen, genährt durch den großen Gangroti Gletscher, zunächst die beiden Quellflüsse Bhagirathi und Alaknanda, die sich kurze Zeit später zum Ganges vereinigen. Ganz in der Nähe beginnen zwei weitere große Ströme der Region – der Indus, der über Pakistan in das Arabische Meer mündet und der Brahmaputra, der parallel zum Ganges auf der Nordseite des Himalaja durch China fließt und schließlich in Bangladesh wieder auf den heiligen Fluss trifft.

Der Ganges selbst durchzieht das nordindische Tiefland als breiter, aber träger Strom. Vor allem zum Ende der Trockenzeit im März ist der Wasserstand gering, dennoch liegen oft mehrere hundert Meter zwischen beiden Ufern. Verursacht wird der geringe Wasserfluß auch durch den Staudamm Haridwar, der schon im Oberlauf einen großen Teil der Schmelzwässer des Himalajas in einen Kanal ableitet. Die Briten haben ihn bereits 1854 zur Bewässerung errichtet.

Ganges Delta © NASA

Auf seinem Weg nimmt der Ganges zahlreiche Nebenflüsse auf. Zu den größten zählen der Yamuna, der Ghaghara, der Kosi und der Son. Für die Hindus gelten gerade diese Orte des Zusammenflusses als heilig.

Viele bedeutende und große Städte liegen am Flusssystem des Ganges, darunter Kanpur, Allahabad, Varanasi und im Mündungsgebiet auch die 14 Millionen Einwohner zählende Metropole Kalkutta.

Im größten Delta der Welt vereinigt sich der heilige Fluss schließlich in Bangladesh mit dem Brahmaputra und fließt unter anderem über die Hauptmündungsarme Padma und Hooghly in den Golf von Bengalen. Fast der gesamte Staat Bangladesh wird von diesem fruchtbaren, aber stark hochwassergefährdeten Delta durchzogen. Große Mangrovenwälder bieten Lebensraum für eine Vielzahl von Tier- und Pflanzenarten. So ist der vom Aussterben bedrohte Bengalische Tiger hier beheimatet. Mit dem Ganges und Brahmaputra schieben sich auch gewaltige Schlammmassen in den Golf von Bengalen. Bis zu 500 Kilometer erstreckt sich die dadurch entstehende Trübung in das Meer hinein.


Stand: 30.06.2001

Indien und Bangladesh und was sie charakterisiert

Die Länder am Ganges

Bangladesh und Indien – zwei Staaten in Südostasien im Einfluss des Ganges. Für das Riesenland Indien sind vor allem die religiösen Aspekte von Bedeutung. Dem kleinen Staat Bangladesh bringt der Fluss fruchtbaren Boden, aber auch alljährliche Überschwemmungskatastrophen mit tausenden Toten und Millionen von Obdachlosen.

Indien Karte © CIA World Factbook

Indien ist ein Land der Gegensätze in vielerlei Hinsicht. Einerseits finden sich im Westen an der Grenze zu Pakistan flache Wüstenlandschaften, andererseits im Norden das Dach der Welt – die Gipfel des Himalaya. Das Klima ist bestimmt durch monatelange Trockenheit und lange Monsunzeiten, die Regen und Überschwemmungen bringen. Auch das gesellschaftliche Leben wird durch Extreme geprägt – unglaublicher Reichtum und bitterste Armut Tür an Tür, Dörfer wie im Mittelalter und Produktion von Hightechcomputern, tiefste Religiösität und Traditionen verbunden mit westlichem Lebensstil, außerdem schöne Paläste und Tempel, daneben jedoch stinkende Müllkippen. Das alles ist Indien und zwar gleichzeitig.

Das siebtgrößte Land der Welt hat mit seiner Einwohnerzahl vor knapp zwei Jahren die Milliardengrenze durchbrochen. Damit nimmt es 2,4 Prozent der Landfläche der Erde ein, beheimatet aber ein Sechstel der Weltbevölkerung. Weite Teile des Landes, insbesondere die landwirtschaftlich intensiv genutzten, gelten daher als überbevölkert. Die soziale Struktur ist zudem durch eine große Heterogenität gekennzeichnet. Die Verfassung hat 15 Hauptsprachen anerkannt; dazu gibt es Hunderte von kleineren Sprachen. Nahezu alle Religionen sind auf diesem Teilkontinent vertreten. Der Hinduismus ist dabei mit über 80 Prozent Anteil unter der Bevölkerung die größte Glaubensgemeinschaft.

Indien Stadt © Jürgen Held

Obwohl die Struktur überwiegend dörflich geprägt ist, gehört Indien zu den Staaten mit der größten Zahl von Megastädten, darunter Bombay, Kalkutta, Madras und die Hauptstadt Neu-Dehli. Wirtschaftlich zählt Indien mit einem Pro-Kopf-Einkommen von 440 US-Dollar zu den Entwicklungsländern. Doch hat sich das Land in den letzten Jahren mit Hilfe gut ausgebildeter einheimischer Fachleute zu einem weltweit konkurrenzfähigen und wichtigen Anbieter von Software entwickelt.

Bangladesh Karte © CIA World Factbook

Die kleine Volksrepublik Bangladesh ist fast vollständig von Indien umgeben. Auf einer Fläche von knapp 150.000 Quadratkilometern, etwa halb so groß wie Italien, beherbergt es über 120 Millionen Einwohner und zählt damit zu den am dichtesten besiedelten Ländern der Welt. Fast neun Zehntel der Gesamtfläche sind vom gemeinsamen Mündungsgebiet des Ganges und des Brahmaputra geprägt, ein Delta mit einem System aus 230 Flüssen mit unzähligen Nebenarmen und Seitenkanälen. So besteht das Land aus einer Vielzahl von Wasserstraßen, Seen, Sümpfen und Schwemmlandinseln.

Ständig wandelt sich sein Gesicht, da die Flüsse in den weichen Sedimentböden häufig ihren Lauf ändern. In der sommerlichen Regenzeit stehen 30 bis 80 Prozent des Landes unter Wasser. Immer wieder fordern diese Katastrophen unzählige Opfer. Doch das Hochwasser bringt auch das fruchtbare Schwemmland und damit die Lebensgrundlage für das stark landwirtschaftlich geprägte Land. Die natürlichen Faktoren und die hohe Bevölkerungsdichte sind die Hauptgründe dafür, dass Bangladesh zu den ärmsten Ländern der Welt zählt.


Stand: 30.06.2001

Von der heiligen Entstehung und Bedeutung des Ganges

Die Göttin Ganga schenkt den Menschen einen Fluss

Shivaaltar an der Ganges-Quelle © Till Dohmann

„Vor tausenden von Jahren war die Erde trocken und das Leben drohte zu Grunde zu gehen. Die einzige Möglichkeit zu einer Rettung sah der König Bhagiratha darin, die Götter zu bewegen, den himmlischen Strom auf die Erde zu schicken. Tausend Jahre betete der König zur Göttin Shiva bis diese ihm schließlich einen Wunsch gestattete. Bhagiratha bat, dass Ganga, die Göttin der Fruchtbarkeit auf die Erde käme und Wasser bringe. Die Macht von Ganga war jedoch so stark, dass sie beim Kontakt mit der Erde diese zerspalten hätte. Daher gelangte sie auf dem Kopf von Shiva auf das Land und schenkte den Menschen einen Fluss.“

Seit jenem Tag gibt es laut der indischen Mythologie den nach der Fruchtbarkeitsgöttin benannten Ganga. Er rettete das Leben und verkörpert die Kraft der Götter. Sein Wasser ist daher heilig. Nach hinduistischem Glauben erlöst es die Menschen von ihren Sünden und mit seiner Macht kann ein Hindu sogar den Wiedergeburtszyklus durchbrechen, in dem er sonst für lange Zeit gefangen wäre.

Rishikesh - heilige Stadt am Ganges © Till Dohmann

Entlang des Ganges liegen daher viele heilige Orte. Am seinem Oberlauf finden sich sogenannte Ashrams, Zentren für religiöse Studien und Meditation. Hier leben zahlreiche Sadhus, heilige Priester, die der Welt entsagt haben und sich ganz auf spirituelle Übungen konzentrieren. Aber auch viele andere Hindus kommen zur Meditation an das Gangesufer. Vor allem kommen sie jedoch, um im Wasser ihre heiligen Waschungen vorzunehmen. Auch hierfür gibt es ganz spezielle Orte. Dort wo andere große Flüsse in den Ganges münden, haben sich heilige Städte entwickelt. Die bedeutendste ist Allahabad. Alle sieben Jahre versammeln sich hier Millionen von Hindus, um sich von ihren Sünden rein zu waschen.

Der Ganges ist längst zum Mythos geworden. Weltweit zieht er die Menschen in seinen Bann. Schließlich gilt das heilige Wasser auch als Wundermedizin gegen Krankheiten. Und so wird das kostbare Nass in Flaschen und Kanistern um die ganze Welt geschickt.


Stand: 30.06.2001

Das Pilgerfest Kumbh Mela in Allahabad

Ein Bad mit Millionen

Satellitenbild Kumbh Mela © spaceimaging.com

Es war die größte Ansammlung von Menschen in der Geschichte, die sich je zu einem Zweck versammelt hatte – etwa 30 Millionen nahmen am 24. Januar 2001 nahe der Stadt Allahabad ihr erlösendes Bad im heiligen Fluss Ganges. Das indische Pilgerfest Kumbh Mela, das alle zwölf Jahre stattfindet, ist die größte spirituelle Zeremonie der Welt und zugleich eine organisatorische Herausforderung.

Das Bad im Sangam zieht die Hindus zu Millionen an. Sangam – so wird im Hinduismus die Mündung eines Flusses in einen anderen genannt. Und hier, wenige Kilometer von der unscheinbaren Stadt Allahabad entfernt, stößt der Jamuna auf den Ganges. In der mythologischen Vorstellung kommt noch ein dritter Fluss hinzu, der nicht sichtbare Sarasvati, der die jenseitige mit der dieseitigen Welt verbindet. Doch nur alle zwölf Jahre entfaltet der Sangam seine Kraft. Laut der Überlieferung gab es bei der Erschaffung des Universums Streit zwischen Göttern und Dämonen um den „Kumbh“, den Nektartopf. Dabei fielen vier Tropfen des schöpferischen Tranks auf die Erde. Dort befinden sich heute heilige Hindu-Stätten, unter ihnen Allahabad. Der Streit dauerte zwölf Götter-Tage, was zwölf Menschenjahren entspricht, eben jener Zeitraum, der heute zwischen den Pilgerfesten liegt.

Prozession © Jürgen Held

Im Januar 2001 zeigten Jupiter, Mond und Sonne sogar eine Konstellation zueinander, wie sie nur alle 144 Jahre entsteht. Für viele gläubige Hindus war dies eine einmalige Möglichkeit, ihre Seele zu reinigen und von Sünden zu befreien und so der Erlösung aus dem ewigen Zyklus der Wiedergeburt ein Stück näher zu kommen. Angeführt von Mönchen, Priestern und Sadhus zogen die Massen in einer Prozession zum Ganges und wurden dort schubweise an das Ufer des Flusses gelassen, um fünfmal in das heilige Wasser einzutauchen.

Laut Schätzungen kamen 100 Millionen Menschen im Laufe des 40 Tage dauernden Festes zum Ganges. Der 24. Januar, wegen des Neumondes zum Haupttag erkoren, ging mit 30 Millionen Badenden in die Geschichte ein.

Menschenmassen © Jürgen Held

Eine solche unglaubliche Ansammlung von Menschen bedeutet auch einen enormen organisatorischen Aufwand. Schon eineinhalb Jahre vorher begannen die Vorbereitungen für das erste Kumbh Mela des neuen Jahrtausends. Auf einer zehn Hektar großen Fläche wurde eine komplette Zeltstadt errichtet. 340 Kilometer Wasser- und 450 Kilometer Stromleitungen wurden verlegt, 90 Kilometer Straße und 15 Brücken über den Ganges errichtet, die den reibungslosen Marsch der Massen garantieren sollten. Über 200.000 Toiletten, 17.000 Straßenlaternen, 28 Polizei- und 24 Feuerwehrstattionen sind weitere Beweise für die Dimensionen dieses Festes. Zeitweise sorgten 10.000 Polizisten für die Sicherheit vor Ort. Auf jeden Fall sollten Unglücke wie 1954 und 1986 vermieden werden. Damals waren Hunderte Menschen im Gedränge und Geschiebe umgekommen. Die Kumbh Mela 2001 ging schließlich unfallfrei und mit Millionen gereinigter Seelen zu Ende.


Stand: 30.06.2001

Die heilige Stadt Varanasi

Sterben am Fluss

Varanasi © Anisha Schubert

Jeder Hindu sollte wenigstens einmal im Jahr eine Pilgerreise unternehmen, als Dank für die Erfüllung weltlicher Güter – so jedenfalls lehrt es ihre Religion. Viele von ihnen besuchen dafür die heiligste Stadt Indiens – Varanasi. Bereits vor 3000 Jahren in den Heldenepen erwähnt, gilt sie als älteste Stadt des Landes. Ihr Name leitet sich von den zwei Flüssen Varuna und Assi ab, zwischen deren Mündungen in den Ganges der alte Stadtkern liegt. Das Alter und die Lage am Ganges sollen Varanasi zum Ort der vollkommenen Erlösung machen. Und so ziehen die Hindus über das ganze Jahr hinweg in diese Siedlung.

Varanasi Ghats © Anisha Schubert

Die ankommenden Pilger umrunden zunächst die alte Stadtbegrenzung, ein Fußmarsch von 60 Kilometern Länge. Am Gangesufer führen dann Steintreppen zum Fluß. Über sechs Kilometer ziehen sich diese Badestellen, die sogenannten Ghats, vor einer Stadtkulisse aus hunderten von Tempeln und Gästehäusern entlang. Bei Sonnenaufgang steigen die Gläubigen die Treppen hinab, vollziehen im Wasser des heiligen Flusses nach vorgeschriebenen Ritus ihre Waschungen und beten zur Göttin Ganga.

Viele Pilger legen ein Gelübde ab, die Stadt bis zu ihrem Tode nie mehr zu verlassen. Denn Varanasi ist nicht nur die Stadt, in der sich die Lebenden durch Waschungen von ihren Sünden befreien, sie hat vor allem eine zentrale Bedeutung für die Sterbenden. Wer hier stirbt, entgeht dem Glauben nach dem Kreislauf der Wiedergeburt und steigt mit einer reinen Seele zum Höchsten auf. So sind es vor allem alte und kranke Menschen, die an den Ghats unter größten Anstrengungen täglich im Fluss baden. Wer es sich leisten kann, kommt in einer Herberge unter, doch viele sind zu arm und suchen Unterschlupf in den Winkeln zwischen Häusern, Tempeln und Steintreppen.

Varanasi © Anisha Schubert

Die Toten werden am Ufer auf eigens dafür vorgesehenen Plätzen verbrannt. Während in anderen indischen Städten das Verbrennen von Leichen als unreiner Akt gilt und vor den Toren der Stadt vollzogen wird, geschieht dies in Varanasi inmitten der Altstadt. Am Hauptplatz werden bis zu fünf Tote gleichzeitig etwa drei Stunden auf den Scheiterhaufen gelegt. Dann wird die Leiche in bunte Tücher gehüllt, mit Ganges-Wasser beträufelt und dem Fluß übergeben. Sie sind so vollkommen gereinigt und der neuerlichen Wiedergeburt entgangen.


Stand: 30.06.2001

330 Millionen Götter und der Glaube an die Wiedergeburt

Exkurs: Hinduismus

Sadhu © Till Dohmann

Etwa 330 Millionen Götter verehren die Hindus und es kommen ständig neue hinzu. Nicht nur deshalb ist diese Religion schwer zu erfassen. Der Hinduismus hat keine geschlossene dogmatische Lehre und es gibt keinen Religionsstifter. Zudem findet eine ständige Erneuerung und Bewegung statt. So fügen spirituelle Lehrer, inspiriert durch die hinduistischen Schriften, der Lehre neues Gedankengut zu und unter dem Einfluß anderer Religionen wie Buddhismus oder Islam werden weitere Denkanstöße integriert.

Wichtigstes Element der hinduistischen Religion ist der Glaube an die Reinkarnation. Demnach hat jedes Lebewesen eine unsterbliche Seele, die darauf drängt, nach dem Tod wiedergeboren zu werden. Je besser die Taten zu Lebzeiten und je religiöser das Leben, desto reiner die Gestalt, in der man wieder auf der Erde erscheint. Ziel jedes Hindus ist es, diesem ewigen Kreislauf zu entkommen. Dazu muss er jedoch immer wiederkehren und sich mit jedem neuen Dasein in eine reinere Form verwandeln bis die Seele Teil des Höchsten ist und aus dem Zyklus erlöst wird. Der Mythologie nach wird die Erlösung auch vollzogen, wenn der Hindu in der heiligen Stadt Varanasi stirbt, seine Leiche dort verbrannt und dem Ganges übergeben wird.

heilige Kuh © Vivien & Erhard Veit

Über 80 Prozent aller Inder sind Anhänger des Hinduismus. So beeinflusst die Religion das Leben des Landes entscheidend, denn der Hinduismus bestimmt von Geburt bis zum Tod und darüber hinaus den Alltag. Überall auf der Straße und in den Häusern hängen bunte Bilder der verschiedenen Gottheiten. Die Kühe, verehrt als heilige Tiere, gehören zum Straßenbild jeder Großstadt und mit dem Dharma sind die moralischen und gesellschaftlichen Werte vorgegeben.

Zum Dharma gehört auch das Kastensystem. Jeder Mensch wird dabei in eine bestimmte Kaste hineingeboren. Die Zugehörigkeit bleibt auf Lebzeiten erhalten, ist vererbbar und bestimmt den gesellschaftlichen und ökonomischen Status. Zu unterscheiden sind die drei oberen Kasten, die Arbeiterkaste und schließlich die Unberührbaren, die eigentlich kastenlos sind und somit über keine Rechte verfügen. Für die sonst so große Flexibilität des Hinduismus erscheint das System ungewöhnlich starr. Hinduistische Lehrer verweisen darauf, dass die ursprüngliche Kasteneinteilung Anerkennung eines bestimmten spirituellen Entwicklungsstandes war. Erst mit dem Einzug der weltlichen Güter wurden die wirtschaftlichen Werte zum entscheidenden Faktor.

Das Kastensystem hat immer wieder die Kritik auf die Religion und Indien gelenkt. Vielfach haben sich Anhänger auch vom Hinduismus abgewendet und neue religiöse Gruppen gegründet. Mit der Unabhängigkeit Indiens wurde das Kastensystem verboten. Jedoch wird durch die lange etablierte Tradition das Verbot in der indischen Gesellschaft, vor allem in den ländlichen Regionen, weitestgehend ignoriert und die Unberührbaren werden nach wie vor benachteiligt.


Stand: 30.06.2001

Steht der heilige Fluss vor dem Kollaps?

Müllkippe Ganges

Waschung © Martin Atzenhofer

Die Hindus glauben ein Bad im Ganges reinigt ihre Seele. Doch mit dieser Waschung setzen sie ihre Körper einer hochgradigen Verseuchung aus. Denn das Wasser des Ganges ist keineswegs rein. Im Gegenteil der heilige Strom zählt zu den sieben am stärksten gefährdeten Flüssen der Welt. Er schluckt täglich mehrere hundert Millionen Liter Abwässer, die zuvor nur selten Kläranlagen durchlaufen.

Die Verschmutzungsfaktoren sind genauso vielfältig wie das Leben am Fluss. So dient der Ganges den 400 Millionen Menschen, die in seinem Einflussbereich leben, als Badewanne, zum Wäschewaschen, als Müllkippe für den privaten Abfall und schließlich auch als Friedhof. Tausende von Leichen werden allein in Varanasi jedes Jahr verbrannt und die Überreste dem heiligen Fluss übergeben. Dass bei dieser Akkordarbeit ein großer Teil des Toten nicht gänzlich verbrannt wird, sondern noch als halbe Körper durch den Ganges treiben, stört die gläubigen Hindus nur wenig. Leprakranke, Kinder und Sadhus sind zudem von der Feuerbestattung ausgeschlossen und werden mit Steinen beschwert direkt im Fluss versenkt.

Leichenverbrennung © Martin Atzenhofer

Zu all diesen Belastungen kommen die Industrieabwässer, die in den vergangenen Jahrzehnten ständig weiter zugenommen haben und ebenfalls direkt in die Flüsse gelangen. Besonders die am Mittellauf des Ganges weit verbreitete Leder- und Stofffärbe-Industrie leiten ihre Chemikalien in den Fluss, darunter krebserregendes Chrom.

Der Ganges ist somit hoffnungslos mit Abfall überfrachtet und notorisch sauerstoffarm. Dieser Mangel wirkt sich vor allem auf den Fischbestand im Fluss aus, der sich immer weiter reduziert. Viele Arten, wie zum Beispiel der Ganges-Delfin, sind vom Aussterben bedroht.

In früheren Jahren war der heilige Fluss für seine legendäre Absorptionsfähigkeit bekannt. Doch inzwischen ist die Belastung soweit vorangeschritten, dass eine eigene Kompensation unmöglich wird. Bereits vor knapp 20 Jahren erregten Meldungen über den langsamen Tod des Ganges Aufsehen. Der Fluss stand vor dem biologischen Kollaps.

Die indische Regierung stellte daher 1985 den National River Action Plan auf. In der ersten Phase sollten 27 Städte entlang des Flusslaufes Kläranlagen erhalten, insgesamt mit einer täglichen Leistung von 900 Millionen Liter Abwässersäuberung. Ab 1993 sollten in der zweiten Phasen auch alle Zuflüsse des Ganges so gereinigt werden. Obwohl umgerechnet bisher 250 Millionen Mark investiert wurden, bezeichnen Umweltschützer das Programm als großen Flop. Nur ein Drittel der angestrebten Menge fließt bis heute durch Kläranlagen und viele Anlagen sind defekt oder einfach nicht in Betrieb, da dafür keine finanziellen Mittel bereitstehen. Nach wie vor fehlt der politische Wille, mit aller Entschlossenheit das Problem anzugehen. Durch die Initiative von Umweltschützern geht es nun in einer neuen Stufe des Ganges Rettungsplans darum, die bereits existierenden Anlagen effektiver zu betreiben. Personalschulungen sind jetzt Pflicht.

Trocknet der Ganges aus?

Himalaya © Till Dohmann

Mit einer ganz anderen Bedrohung für den heiligen Fluss platzten Forscher pünktlich im Januar 2001 in das Pilgerfest Kumbh Mela. Das Abschmelzen der Eiskuppen im Himalaya könnte schon bald dramatische Folgen für den Ganges haben. So wäre es möglich, dass der heilige Fluss seine Lage ändert oder zeitweise ganz trocken liegt. Denn der Ganges erhält zwar während der feuchten Monsunzeit genügend Wasser aus Niederschlägen, im Frühjahr und Herbst ist er jedoch auf das Wasser vom Gangroti-Gletscher angewiesen. Und dieser wächst im Winter weniger, als er im Sommer schrumpft. Seit 1930 hat seine Länge von 25 auf 20 Kilometer abgenommen. Setzt sich die Gletscherschmelze fort, so könnten die Pilger schon bald im Trockenen sitzen.


Stand: 30.06.2001

Der Ganges-Delfin und seine Chancen auf Rettung

Überleben im verseuchten Fluss

Der Ganges gehört zu den wenigen Ökosystemen der Erde, die Flussdelfinen einen Lebensraum bieten. Nur in vier großen Strömen weltweit gibt es diese Tümmler. Doch in fast allen Regionen sind sie gefährdet, so auch im vom Müll hochbelasteten Ganges.

Ganges-Delfin © WDCS / Ravindra Sinha

Der Ganges-Delfin, auch Susu genannt, lebt nicht nur im heiligen Strom, sondern auch in den Flusssystemen des Brahmaputra und Meghna. Nahezu blind orientiert sich diese Delfinart über ein gut entwickeltes Echoortungssystem, was in den trüben Gewässer durchaus von Vorteil ist. Ungewöhnlich auch ihre Suche nach Nahrung. Auf der Seite schwimmend durchziehen sie mit einer Brustflosse den Schlamm und finden so Fische und Kleinkrebse. In den vergangenen Jahren wurde der Ganges-Delfin jedoch aus vielen seiner ursprünglichen Gebiete verdrängt. Heute gibt es laut Schätzungen nur noch 2.000 Tiere. Diese wurden zudem durch die Errichtung von Staudämmen voneinander getrennt, so dass sich etwa acht Subpopulationen entwickelt haben, die durch die künstlichen Barrieren in ihren Bewegungsmöglichkeiten eingeschränkt sind.

Weitere Bedrohungen stellen die starke Verschmutzung und die Fischerei dar. In der Folge finden die Delfine weniger Nahrung oder geraten in die Netze der Fischer. Auch die direkte Bejagung hat ihren Bestand dezimiert.

Ein einziges Schutzgebiet gibt es bisher für die bedrohten Tiere. Diesem fehlt jedoch ein effizientes Management und ein klarer Aktionsplan. Es kommt somit auch hier immer wieder zu Tötungen der Flussdelfine. Die internationale Organisation „Whale and Dolphin Conservation Society“ (WDCS) hat daher ein Projekt ins Leben gerufen, welches den 60 Kilometer langen Flussabschnitt zu einem realen Schutzgebiet machen soll. In Kooperation mit einer lokalen Organisation sind verschiedene Maßnahmen geplant. So hat ein Expertenteam begonnen, Ausbildungskurse durchzuführen. Die Errichtung eines Informations- Ausbildungs- und Forschungszentrums ist geplant.

Einen Schwerpunkt nimmt die Aufklärung der lokalen Bevölkerung ein. Ihnen soll die Notwendigkeit des Schutzes der Delfine und ihres Lebensraumes deutlich gemacht werden. Dazu gehört auch, dass man den Fischern ihre Arbeit nicht verbietet, sondern nach Fangmethoden sucht, die die Delfine nicht gefährden können. Letztlich wird ein Erfolg aber vor allem davon abhängen, inwiefern es gelingt, auch überregional aus dem Ganges wieder ein funktionierendes Ökosystem zu machen.


Stand: 30.06.2001

Überschwemmungen in Bangladesh und die Folgen

Wenn das Wasser zum Fluch wird

Überschwemmungen © DRK

Kurz vor Ende des Jahrtausends beginnt am 13. Juli 1998 in Bangladesh die wahrscheinlich größte Flutkatastrophe in der Geschichte des Landes. Wie jedes Jahr läßt der feuchte Südwestmonsun Ganges, Brahmaputra und die unzähligen Nebenflüsse über die Ufer treten. Als wenige Tage später das Wasser zurückgeht sind die Menschen erleichtert. Doch am 21. Juli kommt die Flut zurück. Binnen 24 Stunden steigt der Pegel um fast 40 Zentimeter. Für die weiten und flachen Gebiete Bangladeshs bedeutet das „Land unter“. Der ungewöhnlich hohe Flutstand während der Gezeiten verhindert einen schnellen Abfluß in den Golf von Bengalen.

Erst zwei Monate später beginnt sich die Lage zu entspannen. Die Bilanz – 70 Prozent Bangladeshs sind von den Überschwemmungen betroffen, über 1.000 Menschen sterben in den Fluten, 25 Millionen Einwohner werden obdachlos, etwa drei Millionen Tonnen Feldfrüchte werden vernichtet und auch die Saat für die nächste Saison können die Einheimischen nicht in den Boden bringen. Nach dem Rückgang der Wassermassen fordern Epidemien und Hunger unzählige weitere Todesopfer.

Bangladesh im Einfluss des Deltas © NASA

In kaum einem anderen Land der Welt gibt es so viele und verheerende Überschwemmungen wie in Bangladesh. Der Ganges, der dem Land das fruchtbare Ackerland bringt, birgt gleichzeitig die größte Gefahr für die Existenz der Bewohner. Auch in Indien tritt der heilige Fluss regelmäßig über die Ufer, doch sind die Folgen längst nicht so weitreichend wie in dem kleinen Nachbarstaat. Die Bevölkerungszunahme und der Mangel an Boden haben hier dazu geführt, dass sich Ackerbau und Siedlungen immer näher an die Ufer vorschieben und die angrenzenden Mangrovenwälder verschwinden. Wenn in der Sommermonsunzeit von Juli bis September der Starkregen einsetzt, sind von den Überflutungen schnell dicht bewohnte Gebiete betroffen. Zudem setzt die fehlende Vegetation die Speicherfähigkeit des Bodens herab. Ein Effekt, der mit der Abholzung von Wäldern in Indien entlang der Südseite des Himalayas noch verstärkt wird.

Von April bis Mai und September bis Oktober bedrohen zusätzlich Zyklonen, tropische Wirbelstürme, Bangladesh. Sturmflutwellen drücken dann das Wasser in die Flussmündungen und lösen schlagartige und heftige Überschwemmungen aus. 1970 und 1991 starben bei derartigen Ereignissen und an den Folgen jeweils etwa 300.000 Menschen.

Rettung per Boot © DRK

Dass bei der großen Flut 1998 nicht noch mehr Menschen ums Leben kamen, ist vor allem auf ein verbessertes Katastrophenmanagement zurückzuführen. Mit internationaler Unterstützung entstanden nach den ähnlich verheerenden Überschwemmungen Ende der 80er Notfallzentren, wo die Menschen eine sichere Zuflucht finden. Zudem wurde mit dem Flood Action Plan ein Programm in Leben gerufen, dass durch Deichbauten, Pflege von Mangrovenwäldern und umfangreiche Wiederaufforstungen, die Überschwemmungen direkt eindämmen sollen. Indien und Nepal arbeiten ebenfalls an einem gemeinsamen Projekt zur Flutkontrolle, das auch für Bangladesh positive Folgen hätte.


Stand: 30.06.2001