Teure Utopie oder Energie der Zukunft?

Kernfusion

Fusionsreaktor "Z-Machine" © Sandia Laboratory

Schon einmal wurde der Versuch unternommen, himmlisches Feuer auf die Erde zu holen – wenn auch nur in der griechischen Sage. Dort war es der Held Prometheus, der den Göttern das Feuer stahl und damit den Menschen Licht und Wärme gab.
Aber auch die modernen „Enkel des Prometheus“ wollen ein himmlisches Feuer auf die Erde holen – die Kernfusion, die Energiequelle der Sterne.

In den Labors des Kernforschungszentrums Jülich, am Institut für Plasmaphysik in Garching oder im amerikanischen Princeton arbeitet man fieberhaft daran, einen Reaktor zu entwickeln, der durch Verschmelzung von Atomkernen Energie produziert. Doch trotz einiger Fortschritte in der Technologie, haben die Forscher noch immer mit ganz grundlegenden Problemen zu kämpfen. Eine kommerzielle Nutzung der Fusionsenergie ist bisher noch nicht in Sicht.

Wie die Kernfusion funktioniert, welche Technologien vielversprechend sein könnten, und wo die Fusionsforschung heute steht, lesen Sie auf diesen Seiten.

Nadja Podbregar
Stand: 26.03.2000

Das Prinzip der Kernfusion

Energie aus dem Inneren der Sterne

Ohne die Kernfusion gäbe es kein Leben auf der Erde. Sie ist es, die der Sonne und anderen Sternen des Weltalls die Energie liefert und sie zum Leuchten bringt. Seit Milliarden von Jahren ist das Verschmelzen von Atomen ein alltäglicher Prozess im Kosmos. Und es ist einer der wenigen Energiequellen, die nahezu unerschöpflich sind.

Doch das, was in Sternen quasi „von selbst“ abläuft, funktioniert nur unter hohem Druck und enormen Temperaturen. Nur unter diesen Bedingungen können die Atomkerne ihre gegenseitige Abstoßung überwinden und sich nahe genug kommen, um miteinander verschmelzen zu können.Im „Fusionsreaktor Sonne“ wird Wasserstoff so weit erhitzt, dass er in den Zustand des Plasmas übergeht. Dieser „vierte Zustand der Materie“ ist einem heißen, sehr dünnen Gas vergleichbar, bei dem die Elektronen ihre Bahn um die Atomkerne verlassen haben – die Atome hören auf Atome zu sein. Getrennt bewegen sich die positve und negative Teilchen fast mit Lichtgeschwindigkeit durcheinander.

Obwohl sich, wie bei einem Magneten, Teilchen mit gleicher Ladung abstossen, prallen im Plasma dennoch ab und zu Atomkerne aufeinander. Die Wucht des Aufpralls überwindet die Abstoßung und läßt beide Kerne miteinander verschmelzen. Möglich wird dieses scheinbare Paradox durch die sogenannte starke Wechselwirkung, die stärkste bekannte Kraft im Kosmos. Sie ist es, die die Teile innerhalb der Atomkerne zusammenhält und eine Atomspaltung so schwer macht. Da sie nur im unmittelbaren Nahbereich des Atomkerns wirkt, kann sie nur dann eine Fusion bewirken, wenn vorher die Abstossung der gleichen Ladungen überwunden wurde.

Prinzip der Fusionsreaktion © MMCD

Bei der Fusion von Wasserstoffkernen entstehen neue Teilchen, die die gewaltige Fusionsenergie unter anderem als Bewegungsenergie freisetzen. Bei einer einzige Fusion werden so knapp 18 Megaelektronenvolt erzeugt. Mit der Energie, die ein einziger Kleinlaster mit Fusionsbrennstoff liefert, könnte ein Fusionskraftwerk eine Stadt mit 500.000 Einwohnern ein Jahr lang mit Strom versorgen. Doch der Versuch, dieses „Sonnenfeuer“ auf die Erde zu holen, ist schwierig, ein moderner „Prometheus“ noch nicht in Sicht.


Stand: 26.03.2000

Das Sonnenfeuer auf die Erde holen...

Prometheus‘ Hürdenlauf

Fusionsforscher träumen schon seit fast 50 Jahren davon, die Energie der Sterne auf die Erde zu holen. Gelänge es, die Kernfusion als neue Energiequelle nutzbar zu machen, könnte die wachsende Weltbevölkerung für zehntausende von Jahren mit Strom und Wärme versorgt werden – mit nicht viel mehr als ein bißchen Wasserstoff und Wärme.

Wasserstoffisotope © DOE

Doch die Euphorie in den Anfängen der Fusionsforschung wich sehr schnell der Ernüchterung: Die Hürden auf dem Weg zu einer „Sonne im kleinen“ waren höher und zahlreicher als erwartet. Entsprechend prophezeite der ehemalige Wissenschaftminister Siegfried Balke schon in den 70er Jahren: „Das Ross der Plasmaphysik wird auch in Zukunft nicht als strahlender Derby-Sieger im wissenschaftlichen Erfolgsrennen durchs Ziel gehen.“ Trotz aller technischen Fortschritte erfreut sich der Spruch:“Fusion ist die Energie der kommenden Generationen – und das wird sie immer bleiben…“, gerade unter amerikanischen Fusionsforschern wachsender Beliebtheit.

Immerhin eine Grundvoraussetzung für die Fusion wird auf Anhieb erfüllt: Die Rohstoffe dafür sind auf der Erde ausreichend verfügbar. Unter irdischen Bedingungen scheinen Deuterium – ein Wasserstoffisotop mit einem zusätzlichen Neutron – und Tritium – ein Isotop mit einem Proton und zwei Neutronen – die geeignetsten Brennstoffe zu sein, aber auch andere Kombinationen wurden bereits getestet. Deuterium ist zu einem geringen Prozentteil (1:6000) in jedem Tropfen Meerwasser auf der Erde enthalten, Tritium kommt zwar nicht natürlich vor, kann aber sehr leicht aus Lithium gebildet werden. Da die Fusionsreaktion nur sehr wenig an Brennstoffen verbraucht, sind die Ressourcen für diese Art der Energiegewinnung quasi unerschöpflich.

Doch die Probleme der Fusionsforscher beginnen direkt beim nächsten Schritt – der Zündung. Da die Atomkerne vor ihrer Verschmelzung erst einmal die gegenseitige Abstoßung überwinden müssen, sind enorme Temperaturen und Drücke nötig, um den Brennstoff in den Plasmazustand zu bringen und die Teilchen so zu beschleunigen, dass sie mit genügend Wucht zusammenprallen.

Die Zündung einer solchen Fusionsreaktion ist unter irdischen Bedingungen erst bei über 100 Millionen Grad möglich – eine Temperatur die mehr als sechs mal so heiß ist wie das Innere der Sonne. Entsprechend groß ist auch die Energie, gebraucht wird, um diese Temperaturen zu erreichen.Wenn ein Fusionsreaktor erst einmal läuft, kann ein Teil der bei der Fusion freiwerdenden Energie eingesetzt werden, um die Betriebstemperatur zu halten. Aber vorher muß die Zündungstemperatur erst einmal produziert worden sein. Bisher ist es zwar gelungen, für sehr kurze Zeit diese hohen Temperaturen zu erzeugen, aber nur in Versuchen, bei denen weder Dichte noch Wärmeisolation den Bedingungen für eine Fusion entsprachen.

Aber nicht nur das Aufheizen des Plasmas ist schwierig, auch die Aufbewahrung stellt die Forscher vor Probleme: Einerseits kann kein Material der Welt dem Millionen Grad heißen Plasma längere Zeit standhalten. Andererseits muss aber die heiße Materie so eng eingeschlossen sein, daß die Plasmateilchen dicht genug zusammengedrängt werden, um genügend oft miteinander kollidieren zu können. In der Sonne und den Sternen sorgt die Schwerkraft für ausreichende Kompression, unter irdischen Bedingungen sollen extrem starke Magnetfelder und hochenergetische Laser- oder Teilchenstrahlen diese Rolle übernehmen.

In der Theorie und in kleineren Vorversuchen wurden die verschiedenen Möglichkeiten, Plasma zu erzeugen und zu halten zwar bereits ausgetestet, aber erst die Kombination der verschiedenen Ansätze kann zeigen, ob und welche Technologien tatsächlich für ein Fusionskraftwerk geeignet sind. Die dafür benötigten Anlagen sprengen jedoch heute noch jeden Rahmen und vor allem jedes Budget.

Für die hoffnungsvollen Nachfolger des Prometheus heißt es daher nicht nur die Schwierigkeiten der Technik und die Fallstricke der Physik zu überwinden, sie müssen gleichzeitig auch immer wieder gegen notorischen Geldmangel und drohende Sparmaßnahmen kämpfen.


Stand: 26.03.2000

Konkurrierende Ansätze der Fusionsforschung

Magnetfeld oder Trägheitsprinzip?

In der Frage, wie sich die technischen Probleme der Fusion am besten lösen lassen, gibt es zur Zeit für jeden Aspekt mindestens zwei verschiedene Antworten. Einer der Punkte an dem sich die Geister der Fusionsforscher am deutlichsten scheiden, ist die Art der Plasmahaltung. Da kein festes Material auf Dauer dem Millionen Grad heißen ionisierten Gas standhalten kann, müssen sich die Forscher andere Methoden einfallen lassen, um das Plasma zusammenzuhalten und es gleichzeitig gegen Abkühlung zu isolieren.

Magnetische Feldlinien im Torus von JET © FZ Jülich

Unsichtbares Gitter…

Seit den 50er Jahren versuchen Plasmaphysiker dies mithilfe starker Magnetfelder zu erreichen. Ulrich Samm, Direktor des Jülicher Instituts für Plasmaphysik (IPP) erklärt warum das funktionieren kann: „Die frei beweglichen negativen Elektronen und positiven Atomkerne geben dem Plasma die Eigenschaft eines elektrischen Leiters. Wo sich Ladungsträger bewegen entstehen immer auch magnetische Felder und umgekehrt beeinflussen Magnetfelder auch den Stromfluss.“

Auf genau dieser doppelten Wechselwirkung beruht auch das Prinzip des magnetischen Plasmaeinschlusses: Ein durch starken Strom erzeugtes Magnetfeld bildet für das in ihm eingeschlossene Plasma eine undurchdringliche Barriere – einen Käfig aus unsichtbaren Magnetfeldlinien. Gleichzeitig heizt der Strom das Plasma auf und bringt es – im Idealfall – bis zur Zündungstemperatur.

Von genau diesem Idealfall ist man allerdings zur Zeit noch weit entfernt. Zwar zeigen erste Versuche mit magnetischen Plasmagefängnissen, dass Plasma mit dieser Methode prinzipiell sowohl erhitzt als auch gehalten werden kann, die Anlagen sind jedoch viel zu klein, um einem funktionierenden und vor allem effektiven Fusionsreaktor auch nur im entferntesten nahe zu kommen. Kein Wunder, sind doch schon für die einfachen Anlagen Kräfte nötig, die das irdische Magnetfeld um das 100.000fache übertreffen. Entsprechend gewaltig fallen auch die Dimensionen solcher Magnete aus: Die supraleitenden Magnetspulen des für die Zukunft geplanten internationalen Forschungsreaktors ITER sollen 1300 Tonnen wiegen und eine Höhe von jeweils 36 Metern haben.

Durch Trägheit ausgetrickst

Während sich vor allem die europäischen Fusionsforscher damit herumschlagen, das im kleinen funktionierende Prinzip nun auch auf einen großtechnischen Maßstab zu übertragen, setzen amerikanische Plasmaphysiker auf eine andere Strategie.

Trägheitsprinzip der Fusion © General Atomics

Als Alternative zur Magneteinschlussfusion stellten sie 1999 ihr Konzept der Trägheitsfusion vor. Provokanter Titel des Artikels im Wissenschaftsmagazin Science: „Eine Zukunft ohne ITER“. Dabei griffen die Wissenschaftler auf das Prinzip der Wasserstoffbombe zurück: Ein winziges Kügelchen aus Deuterium und Tritium wird sehr schnell extrem stark verdichtet. Der plötzliche Druck erzeugt genügend Energie, um die Fusionsreaktion zu starten.

Starke Magnetfelder oder andere äußere Kräfte, um das Plasma zusammenzuhalten sind bei dieser Methode nicht nötig, entscheidend ist allein die Geschwindigkeit des Prozesses. Die Teilchen des Plasmas unterliegen, wie alle Materie, der Trägheit. Auf einen Impuls hin setzen sie sich daher erst mit einer winzigen Verzögerung in Bewegung. Genau auf diese Verzögerung setzt die Trägheitsfusion: Bevor die Teilchen des durch einen Energiestoß von außen erhitzten Plasmas entweichen können, sind sie schon in der Fusionsreaktion verbrannt. Entsprechend dauert der ganze Prozess nur den Milliardsten Bruchteil einer Sekunde.

Aber auch hier gibt es Probleme, das Prinzip technisch nutzbar zu machen – allerdings unter umgekehrten Vorzeichen wie bei der Magnetfeldtechnik: Was in den großen Dimensionen einer Wasserstoffbombe ohne Probleme funktioniert, da eine Atombombe die nötige Zündungsenergie liefert, ist nur schwer auf Labor oder Kraftwerksmaßstäbe herunterzubrechen. „Die Trägheitsfusion hat ihre physikalische Machbarkeit längst bewiesen, doch es fehlen noch viele Schritte zu einem energieliefernden Reaktor.“, kommentiert Prof. Karl Lachner vom Max-Planck Institut für Plasmaphysik das Dilemma. Bisher ist es keinem der Versuchsansätze gelungen, auch nur annähernd die für die Zündung benötigten Temperaturen zu erreichen…


Stand: 26.03.2000

Auf der Suche nach der zündenden Technologie

Laser, Röntgenstrahlen oder Ionenbeschuss?

Auch wenn es bisher noch niemand geschafft hat – die Befürworter der Magneteinschlussfusion können immerhin schon erste Fortschritte auf dem Weg zu einer Zündung des Plasmas vorweisen. Die bisher erfolgreichste Versuchsanlage JET – Joint European Torus – schaffte es 1997, bis auf den Faktor sechs an die zur Zündung erforderlichen Bedingungen heranzukommen. Werte, die die an der Trägheitsfusion forschenden Wissenschaftler eher vor Neid erblassen lassen.

Laserkanonen in Aktion © DOE

Dabei klingt ihre Methode im Prinzip so einfach: Man nehme ein erbsengroßes Hohlkügelchen aus gefrorenem Deuterium und Tritium und fülle es mit dem Dampf der beiden Brennstoffe. Dann heize man die äußere Schicht so stark und schnell auf, dass sie schlagartig verdampft und dabei das Gas im Inneren plötzlich komprimiert. Innerhalb von einer Milliardstel Sekunde verdichtet sich dort Material um mehr als das tausendfache und wird zu Plasma. Dichte und Hitze lassen die Teilchen kollidieren – die Atomkerne fusionieren.

Leider hat das schöne Konzept einen Haken: Noch ist niemandem so recht klar, wie sich die plötzliche und starke Hitze für die Zündung am besten erzeugen läßt: Direkt oder indirekt? Mithilfe von Lasern oder Ionenstrahlen?

Nach den Berechnungen der Wissenschaftler müssten ein bis zwei Megajoule an Energie ausreichen, um die Zündung auszulösen. Dies entspricht in etwa der Energie, die gebraucht wird, um zwei Tassen Kaffee zu kochen. Da diese Energie aber auf winzigste Sekundenbruchteile konzentriert werden muss, entspricht die Stromstärke , die sich als Energie pro Zeiteinheit definiert, immerhin dem tausendfachen der gesamten elektrischen Kapazität der Vereinigten Staaten.

Und nicht nur dass: Bei einer direkten Zündung müssten die Energieimpulse zudem auch noch völlig gleichmäßig auf die winzige Brennkapsel einwirken. Nur dann verdampft das Material der äußeren Schicht gleichzeitig und übt von allen Seiten den nötigen Druck auf das Kapselinnere aus. Angesichts der enormen Energiemengen, die dabei mit großer Präzision manipuliert werden müssten, haben sich viele Fusionsforscher von vornherein für eine indirekte Variante entschieden. Ihre Maxime dabei: Nur halb so effektiv – aber dafür vielleicht machbar.

Für diese Methode sitzt die winzige Brennstoffkapsel in einem etwa fingerhutgroßen Hohlzylinder aus Blei oder anderen schweren Elementen. Die Energieimpulse treten über zwei kleine Öffnungen an jedem Ende des Zylinders ein, treffen auf die Innenwände des Hohlraums und lassen sie teilweise verdampfen. Dies setzt wiederum Energie in Form von Röntgenstrahlen frei, die von den Hohlraumwänden mehrfach reflektiert werden. Sie erhitzen die Brennstoffkapsel, bis die Zündung erfolgt. Durch die wiederholte Reflektion und Umwandlung der Strahlen ist die indirekte Methode zwar nur halb so effektiv wie die direkte Variante, andererseits kann mit ihr eine extrem gleichmäßige Verdichtung und Erhitzung erreicht werden.

Unter anderem deshalb entschieden sich die Initiatoren der in den USA geplanten „National Ignition Facility“ (NIF) bei ihrem milliardenschweren Projekt ebenfalls für eine indirekte Variante. Ab 2004 sollen dabei 192 der weltstärksten Laser ihre geballte Energie von 500.00 Gigawatt auf den winzigen Hohlraum mit dem Brennstoffkügelchen schießen. Obwohl die verwendeten Laser vermutlich nicht für einen Dauerbetrieb in einem Fusionskraftwerk geeignet sein werden, da sie nur alle drei Stunden einen Schuß abgeben können, erhoffen sich die Wissenschaftler dennoch wichtige Erkenntnisse über das mögliche Design eines kommerziellen Reaktors.

Als wahrscheinlichere Alternative zu den fußballfeldgroßen Laserkanonen des NIF kommen hochbeschleunigte Schwerionen – Xenon, Quecksilber oder Blei – in Frage. Sie hätten den Vorteil, Energiestöße sehr schnell hintereinander abgeben zu können. Bisher allerdings ist noch kein Teilchenbeschleuniger in der Lage, einen genügend starken und ausreichend fokussierten Ionenstrahl zu produzieren. Nach Meinung von Roger Bangerter, dem Leiter des Fusionsprogramms an der Berkeley Universität, könnten sich allerdings die technischen Herausforderungen einer solchen Entwicklung als weitaus weniger problematisch erweisen, als der Zwang, die Kosten eines solchen Projekts möglichst gering zu halten…


Stand: 26.03.2000

Tokamak und Stellarator

Schnelle Teilchen im Käfig

Im europäische Raum setzen Fusionsforscher vor allem auf die etabliertere Methode der Magneteinschlussfusion. Aber auch hier ist ein scheinbar so simples Prinzip gar nicht so einfach umzusetzen. Theoretisch läßt sich das heiße Plasma schon in einem einfachen „Gefängnis“ halten. Es reicht ein Kranz runder Leiterspulen. Fließt ein Strom durch sie hindurch, bildet sich in ihrem Inneren ein System aus parallelen Magnetfeldlinien, den sogenannten Torus. Sie sind die magnetischen Gitterstäbe für die geladenen Teilchen des Plasmas.

Praktisch hat aber auch dieses System seine Tücken: So bringt es die kreisförmige Anordnung der Spulen mit sich, dass die Magnetfeldlinien auf der Außenseite weiter voneinander entfernt sind als innen – das Käfiggitter hat Lücken. Um diese Löcher zu stopfen, sind zwei unterschiedliche Methoden möglich.

Plasmapulse im Gitter

Die bisher häufiger realisierte Variante des so genannten „Tokamak“ wurde bereits in den frühen 60er Jahren von russischen Fusionsforschern entwickelt. Sie ergänzten den Spulenkranz des inneren Magnetkäfigs durch ein zweites Magnetfeld. Ihr Trick dabei: Sie nutzten das Plasma selbst als „Magnetspule“: Da die Atome im Plasmazustand in ihre geladenen Kerne und Elektronen zerfallen, kann Plasma elektrischen Strom leiten. Wie bei jedem elektrischen Leiter bildet auch das Plasma beim Stromdurchfluss ein Magnetfeld.

Prinzip des Tokamak © FZ Jülich

In einem Tokamak bringen Transformatorspulen in der Achse des kreisrunden Plasmarings die Elektronen des Plasma durch elektrische Induktion in Bewegung. Es fließt ein Strom und damit entsteht auch ein ringförmiges Magnetfeld. Das Plasma ist dadurch von einem mehrschichtigen Magnetkäfig umgeben: Von den durch die eigenen Bewegung produzierten Magnetfeldlinien und denen, die der Magnetspulenkranz erzeugt.

Die meisten der heute genutzten Testanlagen funktionieren nach diesem Prinzip, darunter auch der bisher erfolgreichste Tokamak, der Joint European Torus (JET) im englischen Culham und der TEXTOR-94, die Versuchsanlage des Instituts für Plasmaphysik in Jülich.

Auch wenn Tokamaks den Bedingungen für eine Zündung und das selbstständige Brennen des Fusionsgemischs bisher am nächsten kommen, haben sie doch einen Haken: sie funktionieren nicht im Dauerbetrieb. Der Plasmastrom, der das innere Magnetfeld erzeugt, läßt sich nur phasenweise in einer langsam ansteigenden Kurve bis zu einer Entladung – dem „Schuß“ erzeugen. Danach ist jedesmal ein neues Hochfahren des Transformators erforderlich, um die Elektronen des Plasmas wieder in Bewegung zu bringen. Eine immer wieder unterbrochene Energieerzeugung wäre für ein mögliches Fusionskraftwerk denkbar ungünstig und kaum rentabel.

Verdrillt in drei Dimensionen

Der Stellarator, die zweite Variante der Magneteinschluss-Anlagen, hat diese Probleme nicht. Er verzichtet auf ein inneres Magnetfeld und ist daher von einem Plasmastrom und seinen Entladungen unabhängig. Statt dessen werden die Spulen, die das äußere „Gitter“ bilden, in besonderer Weise geformt, um die Lücken im Käfig zu schließen. Das entstehende Magnetfeld ist in sich verdrillt und zwingt das in seinem Inneren liegend Plasma, seiner Form zu folgen. Möglich wurde diese Technologie allerdings erst durch Fortschritte in der Rechnertechnik, mit deren Hilfe die komplexen Spulenformen errechnet und simuliert werden konnten.

Das Institut für Plasmaphysik in Garching experimentiert bereits seit einigen Jahren mit Anlagen nach dem Stellarator-Prinzip. Der 1988 in Betrieb gegangene „Wendelstein 7-AS“ Stellarator hat bisher immerhin Plasmatemperaturen von bis zu 60 Millionen Grad erreicht und konnte die entstehende Energie 50 Millisekunden halten. Zwar reichen diese Temperaturen noch nicht für eine Plasmazündung, dafür hatte das Plasma im Stellarator bereits die für einen Reaktorbetrieb nötige Dichte von 3 x 1020 Teilchen pro Kubikmeter. Eine Dichte, die in Tokamaks vergleichbarer Größe bisher nicht erreicht werden konnten.

Obwohl beide Varianten von Fusionsreaktoren Erfolge auf bestimmten Gebieten vorweisen können, schafft es noch keine, die für eine Zündung und eine kontinuierliche Energieerzeugung notwendigen Voraussetzungen zu erfüllen: Tokamaks erreichen zwar die erforderlichen Plasmatemperaturen, laufen aber nur pulsweise und komprimieren das Plasma nicht stark genug. Stellaratoren dagegen heizen weniger effektiv, produzieren aber ein ausreichend dichtes Plasma.

In Europa und auch in Deutschland werden zur Zeit beide Formen der Magneteinschlussfusion parallel getestet und untersucht, sowohl für Tokamak als auch für Stellarator sind neue Versuchsanlagen in Planung. Ob es allerdings in absehbarer Zeit gelingen wird, die Vorteile beider Systeme zu kombinieren oder wenigstens ihre Schwächen zu beseitigen, um die Fusion kraftwerkstauglich zu machen, bleibt offen.


Stand: 26.03.2000

Die Suche nach einer haltbaren Brennkammerwand

Zerstörerischer Kontakt

Der enge Kontakt ist unvermeidbar, doch das Zusammentreffen voller Konflikte: Wo Plasma und die Wand der Fusionskammer aneinandergrenzen, kann es zu Zwischenfällen kommen, die letztlich beide vernichten. Zwar halten die Gitterstäbe des Magnetfelds das Plasma in Schach, aber „ausbruchssicher“ ist dieses Plasmagefängnis nicht, eine äußere Begrenzung aus fester Materie daher unabdingbar. Bei Plasmatemperaturen von mehr als 100 Millionen Grad scheint es fast ausgeschlossen, dass Material, das mit ihm in Berührung kommt, nicht augenblicklich verdampft oder zerstäubt. Doch dem ist nicht so. Der Grund: Plasma ist zwar fast unvorstellbar heiß, aber gleichzeitig auch extrem dünn. Seine Dichte ist millionenfach geringer als die der Luft.

Materialien im Tes © FZ Jülich

Kommt ein Werkstoff in Kontakt mit dem Plasma, „spürt“ er zwar die hohe Energie der schnell aufprallenden Teilchen, doch er wird immer nur von wenigen Partikeln getroffen. Entscheidend für die Widerstandskraft eines Materials ist daher immer die Kombination von Teilchendichte und Plasmatemperatur – der sogenannte Wärmefluss. An der Brennkammerwand eines Fusionsreaktors treten etwa zehnmal höhere Wärmeflüsse auf, als an den Kernbrennstäben eines Atomkraftwerks. „Könnte man die Wärmeabstrahlung einer Herdplatte auf die Fläche einer Ein-Pfennig-Münze konzentrieren, entspräche dies einem Wärmefluss, wie er auch in Fusionsanlagen vorkommt.“, erläutert Jochen Linke vom Institut für Werkstoffe und Verfahren der Energietechnik in Jülich.

Neben dem hohen Wärmefluss müssen die Wandmaterialien auch einem ständigen Neutronenbeschuss standhalten. Im Gegensatz zu den geladenen Teilchen des Plasma können die bei der Fusion entstehenden Neutronen den Magnetkäfig verlassen und tief in die Brennkammerwand eindringen. Da sie einen Großteil der Fusionsenergie mit sich tragen, sind die Folgen entsprechend. Für die Brennkammerwand müssen daher besonders widerstandsfähige Wandelemente gefunden werden.

Doch genau dies bereitet den Fusionsforschern noch Probleme: Alle irdischen Werkstoffe, die die Wissenschaftler bisher weltweit in Fusionsanlagen einsetzen, verändern sich durch das hochenergetische Plasma. Einige geben nur wenige Atome von ihrer Oberfläche her, bei anderen Materialien blättern schon nach kurzem Kontakt die obersten Schichten ab oder werden porös.

Aber nicht nur die Wand leidet bei wiederholtem Kontakt, auch das Plasma selbst wird beeinflusst: Die aus der Wand abgelösten Teilchen wandern ins Plasma ein und verunreinigen es. Der Brennstoff wird dadurch verdünnt und im Extremfall zu Verlöschen gebracht, wertvolle Energie geht verloren. Weltweit forschen Arbeitsgruppen daher nach dem idealen Wandmaterial und untersuchen die Mechanismen der „Plasma-Wand-Wechselwirkungen“.

In den meisten heutigen Anlagen sind die Kammerwände mit Kohlenstoff beschichtet. Seine Atomkerne sind nur relativ schwach positiv geladen, daher trennen sich unter dem Einfluss des Plasmas die um ihn kreisenden Elektronen leicht ab. Da reine Atomkerne dem Plasma kaum schaden, halten sich die energieschluckenden Verunreinigungen des Plasmas bei einer solchen Wand in Grenzen.

TEXTOR während eines Versuchs © FZ Jülich

Ähnliche Eigenschaften hat auch das Bor, das unter anderem in der Jülicher Versuchsanlage TEXTOR-94 als Wandauskleidung eingesetzt wird. Allerdings sind die Wände aus diesen eher leichtkernigen Materialien nicht sehr stabil, sie werden schon bei kürzerem Kontakt mit dem Plasma schnell abgetragen und würden einem Dauerbetrieb in einem Fusionskraftwerk nicht standhalten.

Im Gegensatz dazu sind schwerere Elemente wie Wolfram zwar relativ unempfindlich gegenüber den erodierenden Wirkungen des Plasmas und der Neutronenstrahlen, aber dafür „Gift“ für das Plasma: Der mit 74 Protonen stark positiv geladene Atomkern des Wolframs läßt sich „seine“ Elektronen auch unter Plasmabedingungen nur schwer entreißen. Gelangt er ins Zentrum des Plasmas, entzieht er ihm soviel Energie, dass es zusammenbrechen kann. Im Extremfall reicht dazu schon ein Wolfram-Partikel unter 10.0000 Brennstoffteilchen aus. Auch dieses Material ist daher nach dem heutigen Forschungsstand nicht für einen Kraftwerkbetrieb geeignet. Aber was dann?

Noch haben die Plasmaphysiker und Fusionsforscher die Hoffnung nicht aufgegeben, doch noch eines der beiden Materialien zu nutzen. So suchen Wissenschaftler des Kernforschungszentrums Jülich beispielsweise nach Methoden, um die Einwanderung des Wolframs ins Plasma unterhalb der kritischen Schwelle zu halten, andere Arbeitsgruppen experimentieren mit High-Tech-Werkstoffen, bei denen Kohlefasern in einer Graphitmatrix die Widerstandskraft erhöhen sollen. Bisher allerdings ist die „eierlegende Wollmilchsau“ – ein erosionsstabiles und gleichzeitig plasmafreundliches Wandmaterial noch nicht gefunden. Die Suche geht weiter…


Stand: 26.03.2000

Das Prinzip der Strahlungskühlung

Strahlender Mantel gegen überirdische Hitze

Während Plasmaphysiker und Fusionsforscher noch verzweifelt nach einem Wandmaterial fahnden, das den „überirdischen“ Temperaturen des Plasmas auf Dauer standhalten kann, experimentieren andere an einer Art „Puffer“ zwischen Plasma und Wandelementen – der Strahlungskühlung.

Bei dieser schon vor zehn Jahren von Forschern des Jülicher Kernforschungszentrums entwickelten Methode wird Neongas in den Randbereich zwischen Plasma und Wand eingeleitet. Die Atomkerne des Edelgases trennen sich auch bei den dort herrschenden extrem hohen Temperaturen nicht vollständig von ihren Elektronen. Und genau dies macht seinen Wirksamkeit als Puffer aus: Wenn die freien Elektronen des Plasmas mit hoher Geschwindigkeit auf die Außenhülle der Neonatome prallen, werden sie abgebremst und verlieren Energie – der Brennstoff kühlt ab. Gleichzeitig nehmen die Elektronen des Neongases die Energie auf und gelangen dadurch in einen energetisch höheren Zustand – sie sind „angeregt“. Dabei – und das ist der Trick – werden sie aber nicht unwiderruflich aus ihrer Bahn geschleudert. Statt dessen geben sie die Energie als Licht wieder ab und fallen anschließend wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurück. Der Prozess kann von neuem beginnen.

Letztendlich umhüllt so ein vergleichsweise „kalter“ und strahlender Mantel das Millionen Grad heiße Plasma – und das, ohne dabei das heiße Zentrum des Plasmas unnötig abzukühlen. „Überraschenderweise ist genau das Gegenteil der Fall. Die Energie im Plasma kann mit Strahlungskühlung sogar besser eingeschlossen werden als ohne.“, erklärt Dr. Bernhard Unterberg vom Institut für Plasmaphysik in Jülich.

Mit dieser Methode, auf die inzwischen auch international große Hoffnungen gesetzt werden, läßt sich auch ein anderes Problem im Wand-Plasma-Bereich elegant lösen: Bei der Fusion entstehen als Verschmelzungsprodukte neben Neutronen auch Heliumkerne. Da diese das Magnetfeldgitter um das Plasma nicht durchdringen können, reichern sie sich im Laufe der Zeit im Plasma an und ersticken die Fusionsreaktion. Um dieses zu verhindern, sind die Brennkammern so konstruiert, dass die entstehenden Heliumkerne konzentriert auf bestimmte Wandabschnitte, die Pumplimiter, gelenkt werden. Dort können sie über Pumpen oder ähnliches abgesaugt werden. Ohne den Puffer der Strahlungskühlung könnten die auf diese Weise bombardierten Wandbereiche dem geballten Wärmefluss nicht standhalten. Sie würden überhitzen und schmelzen oder verdampfen. Das Neongas sorgt dafür, dass die Energie der Heliumkerne schon vor dem Aufprall auf die Pumplimiter aufgefangen wird.

Allerdings ist auch diese Methode, wie so viele andere in der Fusionsforschung, noch lange nicht ausgereift. Was in kleinen Versuchsanlagen wie dem Jülicher TEXTOR-94 funktioniert, ist bisher noch nicht auf andere Modelle von Fusionsreaktoren oder gar Fusionskraftwerke übertragbar. Wissenschaftler in Jülich und anderswo werden daher noch viele Experimente und Modelle hinter sich bringen müssen, ehe die Strahlungskühlung auch im großen Maßstab funktioniert.


Stand: 26.03.2000

Ohne Effektivität kein Fusionskraftwerk

Mit Iter zum magischen „break-even-point“

Für die Fusionsforscher ist es klar: Fusion ist die Energiequelle der Zukunft. Nur in der Frage wann diese Zukunft eintreten wird und wie genau sie aussieht, sind die Aussagen weitaus weniger eindeutig. Denn noch gibt es ein Haupthindernis auf dem Weg zum kommerziellen Fusionskraftwerk, das fast unbegrenzt und mit minimalen Brennstoffverbrauch Energie für alle produziert: die Energie. Die Zündung des Plasmas gleicht dem Versuch, ein nasses Streichholz anzuzünden – um die Reaktion in Gang zu bringen, ist erst einmal ein enormer Energieaufwand nötig.

Innenansicht des JET-Torus © FZ Jülich

Und genau hier beginnen die Probleme. Schon seit den 70er Jahren arbeiten die Fusionsforscher daran, sich langsam an den magischen „break-even-point“ heranzutasten – den Punkt, an dem durch die Verschmelzung der Atomkerne genauso viel Energie entsteht, wie für das Aufheizen des Plasmas hineingesteckt werden muss. Bisher ist es einigen Versuchsanlagen weltweit zwar gelungen, diesen Punkt zu erreichen, aber immer nur für extrem kurze Augenblicke. Selbst der Erfolgsreaktor JET schafft es bei einer Fusionsleistung von 16 Megawatt gerade einmal, 65 Prozent der aufgewendeten Heizenergie auszugleichen. Als weltweit größte Versuchsanlage soll er Wissenschaftlern die Möglichkeit geben, Plasma in der Nähe von Zündungsbedingungen und des magischen „break-even-points“ zu untersuchen. Sie erhoffen sich davon wertvolle Erkenntnisse für den Bau und die Planung von effektiveren Reaktormodellen.

Effektiv kann ein Fusionsreaktor auf Dauer nur sein, wenn nach der Zündung die Energieproduktion den Energiebedarf für das Heizen nicht nur ausgleicht sondern übertrifft, also weit jenseits des „break-even-points“ liegt. Um das allerdings zu erreichen, muss eine solche Anlage gewaltige Dimensionen haben, weit über denen jedes bestehenden Reaktors. Was keine der gegenwärtigen Anlagen schafft, erhoffen sich die Plasmaphysiker daher von ITER, dem geplanten Internationalen Thermonuklearen Experimental Reaktor.

ITER-Aufbau Schema © FZ Jülich

Der nach dem Tokamak-Prinzip funktionierende Reaktor sollte eigentlich ein so heißes und dichtes Plasma produzieren, dass es zünden und die Fusionsreaktion im Plasmainneren quasi wie von selbst weiter laufen würde. Doch wegen Geldmangel und Sparzwängen der beteiligten Regierungen und Projektpartner musste ITER abgespeckt werden. Die etwas kleinere „Sparvariante“ wird zwar immer noch mehr als 13 Milliarden Mark verschlingen, kommt dafür aber nicht mehr ohne dauernde Zusatzheizung aus. „Immerhin würde auch diese kleinere Maschine bereits zehnmal mehr Energie liefern, als an Heizenergie aufgewendet werden muss.“, erläutert Prof. Samm, Direktor am Institut für Plasmaphysik in Jülich.

Dass dies tatsächlich so funktioniert, ist für die Zukunft der Fusionsenergie von entscheidender Bedeutung: Gelingt es auch ITER nicht, zu beweisen, dass die Fusion effektiv Strom erzeugen kann und dass die bisherigen technischen Probleme und Hürden gemeistert werden können, rückt die „Energie der Zukunft“ in weite Ferne – vielleicht für immer.


Stand: 26.03.2000

Sicherheit und Entsorgung bei Fusionsreaktoren

Kernfusion – eine „saubere“ Energie?

Sicher und sauber soll sie sein, die Fusion als Energie der Zukunft – so jedenfalls betonen es die Fusionsforscher und Befürworter der neuen Technologie. Aber ist dem wirklich so?

Zumindest was die ganz großen Sicherheitsprobleme betrifft, trifft dies sicher zu: Obwohl auch ein Fusionsreaktor mit einem radioaktiven Brennstoff, dem Tritium, läuft, kann er aus physikalischen Gründen nicht außer Kontrolle geraten. Es gibt keine so schnelle Kettenreaktion, die sich aufschaukeln könnte. Fällt die Kühlung des Reaktors aus, Fusionsreaktion kommt von selbst zum erliegen. Ein Super-GAU oder ein Unfall wie in Tschernobyl wären daher unmöglich. Ein weitere Vorteil ist die erheblich kürzere Halbwertszeit der radioaktiven Brennstoffe: Während es bei Plutonium oder Uran hunderte oder tausende von Jahren dauert, bis sich ihre Strahlung auch nur um die Hälfte verringert hat, hat Tritium gerade einmal eine Halbwertszeit von 12,3 Jahren.

Ungefährlich oder völlig risikolos ist ein Fusionsreaktor dennoch nicht: Das Wasserstoffisotop Tritium ist extrem leicht und kann durch kleinere Lecks entweichen und sich in Metallen oder anderen Materialien einlagern. Die von ihm ausgehende Beta-Strahlung läßt sich zwar leicht abschirmen, gelangt sie aber durch Einatmen oder die Aufnahme mit der Nahrung in den Körper, kann sie lebende Zellen schädigen. Das Tritium wird dort in Wassermoleküle eingebaut und erst nach durchschnittlich 20 bis 550 Tagen wieder ausgeschieden.

Auch die bei der Fusion entstehenden Neutronen können indirekt zur Quelle radioaktiver Strahlung werden: Prallen sie auf die Wände der Brennkammerwand, aktivieren sie deren Material und können sie dadurch radioaktiv machen. Ähnliches gilt auch für Spulen, Zu- und Ableitungen und das gesamte Stützgerüst des Reaktors. Unter dem Einfluss der Neutronenstrahlung bilden sich vor allem in den metallischen Komponenten teilweise auch langlebige radioaktive Stoffe. Da diese Bauteile bei einem Reaktorbetrieb relativ häufig ausgetauscht und erneuert werden müssten, fallen regelmäßig verseuchte Abfälle an.

Es ist geplant, den gesamten radioaktiven Müll für Jahrzehnte im Reaktorgebäude selbst zwischenzulagern. Theoretisch könnte man dem Abfall dort durch Wiederaufbereitung den größten Teil des Tritiums wieder entziehen und damit die Strahlungsintensität absenken, dafür wäre allerdings eine betriebseigene Wiederaufbereitungsanlage nötig. Immerhin würde bei 90 Prozent des Abfalls die Radioaktivität nach 50 Jahren bereits so weit abgeklungen sein, dass er ohne Bedenken in die Umwelt freigesetzt werden könnte. Die restlichen zehn Prozent müssten mindestens 100 Jahre in unterirdischen Endlagern aufbewahrt werden.

Insgesamt würde ein Fusionsreaktor bei einer Laufzeit von 30 Jahren 16.000 Tonnen Abfall produzieren, bei seinem Abriss kämen noch einmal mehr als die doppelte Menge hinzu. Von der anfallenden Abfallmenge unterschiedet sich damit ein Fusionsreaktor nicht von einem Kernkraftwerk, zu diesem Schluss kam 1995 auch eine Studie der Europäischen Kommission.

Wenn auch ein Fusionsreaktor im Vergleich mit einem Kernkraftwerk sicher das „kleinere Übel“ wäre, ohne Risiken und radioaktive Abfälle kommt auch er nicht aus. Die vermeintlich „saubere“ Energie hat einige Flecken.


Stand: 26.03.2000

Kernfusion als Lösung aller Energieprobleme?

Zukunftsmusik

Es klingt fast zu schön um wahr zu sein: Ein bißchen Wasserstoff könnte reichen, um die Energieprobleme der Menschheit auf einen Schlag zu lösen. Kernfusion, da sind sich die Verfechter der Fusionstechnologie sicher, ist definitiv die Energie der Zukunft. Angesichts zur Neige gehender Reserven an fossilen Brennstoffen und der drohenden Klimaveränderung durch Emission von immer mehr Treibhausgasen eine verlockende Perspektive. Aber wie realistisch sind die Aussichten, dass in absehbarer Zeit tatsächlich funktionierende Fusionsreaktoren errichtet werden können?

Reaktor TFTR © DOE

Bisher steckt die Technologie gerade einmal in den Kinderschuhen. Obwohl die ersten Anfänge der Fusionsforschung bis in die 50er Jahre zurückgehen, sind bahnbrechende Fortschritte dünn gesät. Die Plasmaphysiker schlagen sich noch immer mit Grundsatzproblemen herum, nicht einmal die Entscheidung für eine der beiden Basisprinzipien, Magneteinschluss- oder Trägheitsfusion ist gefallen. Bisher ist es in beiden Bereichen nur zu Teilerfolgen gekommen, die Versuchsanlagen erreichen entweder ausreichende Temperaturen oder Dichte, nicht jedoch beides – und schon gar nicht für längere Zeit. Selbst der weltweit erfolgreichste Reaktor, der Joint European Torus, war bei seinem Rekordexperiment von 1997 noch immer um den Faktor sechs von den für eine Zündung benötigten Bedingungen entfernt.

Es scheint fast so, als wenn das ersehnte Ziel der Kernfusion als Energiequelle, in immer weitere Ferne rückt, je mehr die Forschung voranschreitet. Nicht immer sind es allerdings rein technische Probleme, die sich den Wissenschaftlern in den Weg stellen, oft genug müssen auch Hürden ganz anderer Art genommen werden. „50 Prozent der verlorenen Zeit in der Fusionsforschung gehen auf das Konto politischer Behinderung.“, sagt Prof. Klaus Pinkau, Leiter des Instituts für Plasmaphysik in Garching. Die leeren Staatskassen zwingen zu rigorosem Sparkurs. Die extrem teuren und aufwendigen Projekte der Fusionsforschung müssen da häufig als erste dran glauben. Erst kürzlich entging der geplante Internationale Fusionsreaktor ITER nur knapp dem drohenden Aus, seine Planung wird nun doch, in geschrumpfter Version, weitergehen können.

Trotz aller Hürden sind die Fusionsforscher im Prinzip optimistisch: Ihrer Ansicht nach könnte schon 2050 der erste kommerzielle Fusionsreaktor ans Netz gehen – wenn bis dahin noch einige kleinere Wunder geschehen.

Doch selbst wenn die technischen und politischen Voraussetzungen eines Tages stimmen sollten und der erste Fusionsreaktor zu arbeiten beginnt: Die Frage, ob sich der Aufwand dann überhaupt lohnt, ob es gelingen wird, ein Fusionskraftwerk so effektiv zu machen, dass es auch mit anderen Energieformen konkurrieren kann, ist noch völlig ungelöst. Und wird es vermutlich noch eine ganze Weile bleiben. Alexander Bradshaw, der Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft bringt es auf den Punkt: „Die Entscheidung, ob wir die Kernfusion einsetzen wollen oder nicht, treffen nicht wir, sondern unser Kinder und Enkel.“


Stand: 26.03.2000