Schauriger Fund: Archäologen haben in der Nähe von Nürnberg das möglicherweise größte Massengrab Europas entdeckt – die Überreste von mehr als tausend Männern, Frauen und Kindern wurden dort bestattet. Die Forscher vermuten, dass es sich um Pesttote handelt. Doch wie haben sie die Ursache des Massensterbens identifiziert? Mehr zu pestbestimmenden DNA-Tests und weiteren Methoden der Todesursachen-Erkennung im Video.
Massenbegräbnisse gibt es schon seit tausenden von Jahren. So zeugt ein Massengrab am Turkanasee in Afrika von einem Massaker vor 10.000 Jahren, bei dem ein ganzes Dorf getötet wurde. Überfälle oder Massen-Hinrichtungen führten ebenfalls zum Sterben zahlreicher Menschen, wie unter anderem 7.000 Jahre alte Massengräber in Deutschland belegen.
Auch Seuchen wie die Pest forderten unzählige Menschenleben: Im Mittelalter raffte der vom Bakterium Yersinia pestis ausgelöste “Schwarze Tod” fast ein Drittel der europäischen Bevölkerung dahin. Die aus Zentralasien stammende und über viele Jahrhunderte immer wiederkehrende Epidemie prägte die Gesellschaft nachhaltig – und hinterließ sogar Spuren in unserem Genom. Zeugnis der mittelalterlichen Pandemie geben Massengräber, die an vielen Orten Europas gefunden wurden.
Acht Massengräber mit mehr als tausend Leichen
Ein weiteres Massengrab aus der Pestzeit haben kürzlich Archäologen der Grabungsfirma In Terra Veritas in Nürnberg entdeckt.
Bei einer Routineinspektion des Untergrunds vor dem Bau neuer Apartments im Stadtzentrum entdeckten sie neben einem schon zuvor an dieser Stelle vermuteten Wall aus dem Dreißigjährigen Krieg zahlreiche menschliche Knochen. Bislang wurden in den Gräbern die Gebeine von beinahe 1.000 Toten gefunden, dokumentiert und zur weiteren Untersuchung entnommen.
Doch da bei einer Exhumierung kurz nach den Begräbnissen einige Leichen aus den Gräbern entfernt wurden und später die Schockwelle einer Bombenexplosion aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs noch weitere Körper zertrümmerte, lässt sich die Zahl der ursprünglich begrabenen Menschen nicht mehr genau bestimmen. Die Archäologen gehen allerdings davon aus, dass die Zahl der Toten auf etwa 1.500 steigen wird. „Eine Entdeckung wie diese hat es noch nie gegeben und ehrlich gesagt hat niemand dies für möglich gehalten. Die Stätte ist für die Stadt Nürnberg von enormer Bedeutung“, kommentiert Melanie Langbein von der Stadt Nürnberg.
Begräbnisse aus zwei Zeitspannen
Um die Ursache dieser gehäuften Todesfälle zu verstehen, versuchten die Forschenden deren Zeitpunkt genauer zu bestimmen. Ihr erstes Indiz: In den Gräbern fanden die Forschenden zwei Silbermünzen mit den Prägedaten 1619 und 1622. In der Hälfte der acht Massengräber lagen die Leichname außerdem unter einer Schicht aus dunkelbraunem Sand. Dabei handelt es sich offenbar um die Erde, die 1634 beim Bau des eigentlich gesuchten Kriegswalls ausgehoben wurde. Daraus schlussfolgerten die Archäologen, dass die sandbedeckten Massengräber nach der Prägung der Münzen im Jahr 1622, aber vor dem Bau des Kriegswalls in 1634 entstanden sind.
Die andere Hälfte der Leichname stammt jedoch vermutlich aus der Zeit nach dem Bau des Kriegswalls, da diese Gräberschicht dessen dunkelbraune Sandschicht durchschnitt. Um mehr zu erfahren, führten die Forschenden in einem der zugehörigen Gräber eine Radiokohlenstoffdatierung durch. Sie bestätigte, dass die Toten aus der Zeit zwischen dem späten 15. und dem frühen 17. Jahrhundert stammen – präzisere Zeitangaben existieren bisher jedoch noch nicht. „Diese Stätte war und ist ein anspruchsvolles Projekt mit einer sehr komplizierten stratigrafischen Zusammensetzung. Es ist eine aufregende Erfahrung „, sagt Julian Decker von In Terra Veritas.
Der Schwarze Tod verursachte die Massenbegräbnisse
Die Forschenden vermuten, dass die Massengräber auf zwei verschiedene Ausbrüche der Pest zurückzuführen sind, die seit dem Schwarzen Tod Mitte des 14. Jahrhunderts in Europa wüteten – wobei das spätere Begräbnis zeitgleich mit einer der großen Pestepidemien zwischen 1622 und 1634 stattfand. Auch in Nürnberg forderte diese Seuche in drei großen und mehreren kleineren Pestausbrüchen tausende Todesopfer.
Die während der Seuchenausbrüche anfallenden Toten konnten damals wegen der schieren Menge nicht mehr ordnungsgemäß auf den Kirchhöfen bestattet werden, weshalb die Behörden auf ein Notverfahren zurückgriffen: Massengräber wurden in der Nähe der Kirchhöfe ausgehoben. Auch das passt zu den Funden, denn nur etwa 200 Meter von der Ausgrabungsstätte entfernt befindet sich ein alter Friedhof.
Einblicke in ein vergangenes Nürnberg
Aus archäologischer Sicht ermöglichen die Gräber nun einen tiefen Einblick in die Nürnberger Gesellschaft zur Zeit der Pestausbrüche. Die Toten geben ein repräsentatives Bild der Gesellschaft in der Zeit auf ihrem Höhepunkt vor dem Dreißigjährigen Krieg. Die Gräber selbst sind jedoch eher ein Denkmal für die katastrophalen Zustände, die herrschten, als die Pest mit Nürnberg eine der wichtigsten Städte des Heiligen Römischen Reiches traf.
„Die Skelette sind trotz der Zerstörung in einem sehr guten Zustand für die Untersuchung. Wir können nun alle Informationen, die in diesen Knochen gespeichert sind, detailliert auswerten, zum Beispiel die Häufigkeit verschiedener Krebsarten, genetische Mutationen, die sich in den Schädeln zeigen, Alters- und Geschlechtsbestimmung, Zustand der Zähne und daraus Rückschlüsse ziehen auf die allgemeine Gesundheit und die Lebensumstände in dieser Zeit“, sagt dazu Florian Melzer von In Terra Veritas.
Quelle: In Terra Veritas