Physik

Gibt es eine vierte Neutrino-Klasse?

Oszillationen im Teilchenstrahl nicht mit bekannten drei Neutrino-Sorten erklärbar

Gibt es doch „sterile“ Neutrinos? © Fermilab

Physiker haben erneut Hinweise für die Existenz einer vierten, bisher nicht im Standardmodell der Teilchenphysik enthaltenen Klasse von Neutrinos entdeckt. Das „Mini Booster Neutrino Experiment“ ergab verräterische Oszillationen im Antineutrinostrahl, die nicht durch die drei bekannten Klassen dieser Elementarteilchen erklärt werden können. Sollte es tatsächlich ein viertes, „steriles“ Neutrino geben, könnte dies auch die Existenz der Dunklen Materie im Kosmos erklären, so die Physiker in der Fachzeitschrift „Physical Review Letters“.

Neutrinos sind neutrale Elementarteilchen mit kleiner Masse und nur schwacher Wechselwirkung mit anderer Materie. Das macht sie schwer nachweisbar, sie gelten quasi als Geisterteilchen. Nach dem Standardmodell der Teilchenphysik gibt es drei Sorten von Neutrinos: das Elektron-Neutrino, das Myon-Neutrino und das Tau-Neutrino. Diese können jedoch im Phänomen der „Neutrino-Oszillation“ ständig von einem Typ in den anderen wechseln.

1998 entdeckten Physiker am „Liquid Scintillator Neutrino Detector“ des Los Alamos National Laboratory Hinweise auf eine weitere, vierte Form der Neutrinos. Die im Strahl des Experiments beobachteten Oszillationen waren zu stark und häufig, als dass sie nur durch die drei bekannten Formen erklärt werden konnten. Physiker versuchten nun mit Hilfe des so genannten „Mini Booster Neutrino Experiment“, kurz MiniBooNE am amerikanische FermiLab, diese Ergebnisse nachzuvollziehen, scheiterten in Experimenten mit einem Neutrinostrahl jedoch. Daher galt die Existenz eines vierten Neutrinos zunächst als widerlegt.

Neue Indizien für sterile Neutrinos

Jetzt jedoch liegen drei Jahre an Daten aus Experimenten mit einem Antineutrinostrahl am MiniBooNE vor, die erneut Indizien für die Existenz des so genannten „sterilen Neutrinos“ sein könnten. „Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass es entweder neue Partikel oder Kräfte gibt, die wir uns bisher nicht vorstellen konnten“, erklärt Byron Roe, Physiker an der Universität von Michigan. „Die einfachste Erklärung wäre die Ergänzung neuer Neutrino-ähnlicher Teilchen, steriler Neutrinos, die nicht die normale schwache Wechselwirkung aufweisen.“ Die Abwesenheit der schwachen Wechselwirkung könnte erklären, warum diese sterilen Neutrinos noch schwerer nachzuweisen sind als die „normalen“ Neutrinos.

Detektoren im MiniBooNE © Fermilab Visual Media Services

Verletzung der fundamentalen Symmetrieregeln

Für Überraschung sorgt allerdings die Tatsache, dass die verräterischen Zusatz-Oszillationen nur im Antineutrinostrahl, nicht bei Neutrinos nachgewiesen werden konnten. Das widerspricht einer der fundamentalen Grundregeln des Kosmos, der Ladungs-Parität-Symmetrie, kurz CP-Symmetrie. Nach dieser darf es keinen Unterschied für die physikalischen Gegebenheiten machen, wenn alle Teilchen durch ihre Antiteilchen ersetzt werden. Doch im Falle der MiniBooNE-Experimente war dies offenbar der Fall.

„Das bedeutet, dass Ergänzungen zu unserem Standardmodell noch notwendiger sein könnten als nach den ersten LSND-Ergebnissen gedacht“, so Roe. Erste Belege für die Verletzung der CP-Symmetrie seien zwar bereits zuvor bei bestimmten Zerfällen beobachtet worden, nicht jedoch an Neutrinos.

Erklärung für Dunkle Materie?

Nach Ansicht von William Louis vom Los Alamos National Laboratory könnte die Existenz der sterilen Neutrinos auch einige Ungereimtheiten in der Zusammensetzung des Kosmos erklären. „Physiker und Astronomen suchen nach sterilen Neutrinos, weil sie einige oder sogar die gesamte Dunkle Materie im Universum erklären könnten”, so Louis. „Sterile Neutrinos könnten möglicherweise auch die Materie-Asymmetrie des Kosmos erklären, warum unser Universum vorwiegend aus Materie und nicht aus Antimaterie entsteht.“

Bevor allerdings das Standardmodell endgültig widerlegt beziehungsweise ergänzt wird, müssen erst noch weitere Experimente durchgeführt werden. Die Forscher betonen, dass ihre Ergebnisse zwar statistisch signifikant sind und zudem die früheren Funde am LSND bestätigen, aber dennoch weitere Daten benötigt werden.

(University of Michigan, 04.11.2010 – NPO)

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