Viele von uns verdanken unserem Vetter, dem Neandertaler, einen wichtigen Baustein des Immunsystems Denn von ihm haben wir einen Rezeptor geerbt, der dabei hilft, eingedrungene Krankheitserreger zu identifizieren. Während unsere afrikanischen Vorfahren nur drei dieser Rezeptoren besaßen, tragen zwei Drittel der Europäer einen vierten mit sich – ihn erhielten sie, als ihre nach Europa eingewanderten Urahnen sich mit Neandertalern vermischten, fanden deutsche Forscher bei Gentests heraus.
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Wenn Krankheitserreger den menschlichen Körper attackieren, muss das Immunsystem entscheiden, ob es sich um gefährliche Eindringlinge oder körpereigene Moleküle handelt. Im Lauf der Evolution hat sich ein sehr effizientes System herausgebildet, das entfernt an die Methoden von Geheimdienst-Agenten erinnert: Das sogenannte humane Leukozytenantigen-System (HLA) bringt dabei mit Hilfe bestimmter Gene Rezeptoren hervor, die die Gefährdungseinstufung der Krankheitserreger vornehmen.
Vier statt nur drei Immun-Rezeptoren
Insgesamt waren bislang drei verschiedene solcher Peptid-Rezeptoren bekannt, die beim Menschen in mehr als 1.000 verschiedenen Ausprägungen verräterische Buchstabenfolgen lesen können. „Diese Vielfalt ist erforderlich, damit das Immunsystem die gesamte Bandbreite der für den Menschen relevanten Krankheitserreger einstufen kann“, erklärt Norbert Koch von der Universität Bonn. Einen vierten Rezeptor haben nun Koch und Kollegen aus Deutschland und Großbritannien gefunden.
Die Wissenschaftler verglichen die Gensequenz des neu entdeckten Rezeptors mit bestehenden Datenbanken und stellten fest, dass schätzungsweise zwei Drittel der Europäer über diese wichtige Struktur verfügen. Bei Menschen im südlichen Afrika kommt er jedoch praktisch nicht vor. Dort aber befand sich die Wiege der Menschheit. „Als der frühe Mensch als Vorfahr des heutigen Menschen Afrika verließ und vor einigen hunderttausend Jahren nach Europa einwanderte, verfügte er noch nicht über diesen Rezeptor“, sagt Koch.
Rezeptorgene stammen vom Neandertaler
Die Wissenschaftler prüften deshalb, ob etwa der Neandertaler als Beispiel für einen Urmenschen über die entscheidende Gensequenz verfügte, die den Bauplan für den Rezeptor enthält. Und tatsächlich: „Die betreffende Gensequenz des Neandertalers ist mit der von heutigen Menschen fast identisch“, sagt Koch. Das bedeutet, dass der Neandertaler im Gegensatz zu unseren Vorfahren aus Afrika bereits über diesen für das Immunsystem so wichtigen Rezeptor verfügte.
„Die Neandertaler lebten wahrscheinlich viele hunderttausend Jahre in Europa und konnten in dieser Zeit den HLA-Rezeptor entwickeln, der ihnen eine Immunität gegen viele Krankheitserreger verlieh – das war ein klarer Evolutionsvorteil“, sagt der Immunbiologe der Universität Bonn. Als sich einige unserer nach Europa eingewanderten Vorfahren mit Neandertalern vermischten, gelangte auch das Gen für diesen Rezeptor in unser Erbgut. Als Folge trägt ihn nun ein Großteil der Europäer in sich – als Erbe unseres ausgestorbenen eiszeitlichen Vetters. (Journal of Biological Chemistry, 2013; doi: 10.1074/jbc.M113.515767)
(Universität Bonn, 25.11.2013 – NPO)