Medizin

Hirndoping kann bleibende Folgen haben

Forscher beobachten langfristige Einbußen in Lernfähigkeit und Flexibilität

Neuro-Enhancement: Pharmazeutische Nachhilfe fürs Gehirn? © Kim Hager, Neal Prakash / UCLA

Mit Pillen besser lernen oder länger arbeiten – das klingt für viele verlockend. Aber besonders für junge Erwachsene kann das Hirndoping nachhaltige Folgen haben, warnen nun Forscher. Gerade das häufig dazu missbrauchte ADHS-Mittel Methylphenidat hemmt langfristig die Plastizität des Gehirns,
wie Versuche mit Ratten zeigen. Als Folge sinken Lernfähigkeit und Flexibilität des Verhaltens.

Immer mehr Schüler und Studenten nutzen Medikamente, um ihre geistigen Leistungen zu steigern. Sie nehmen es, um auch nachts noch lernen zu können oder um bei Prüfungen klarer denken zu können. „Gerade junge Erwachsene stehen einem zunehmenden Druck gegenüber, immer mehr Leistung zu bringen und sind daher in Versuchung, entsprechende Mittel zu nehmen“, erklären Kimberly Urban von der University of Delaware in Newark und Wen-Jun Gao vom Drexel College in Philadelphia.

Eine der am häufigsten zu Hirndoping eingesetzten „Smart drugs“ ist Methylphenidat – der Wirkstoff des Medikaments Ritalin, das zur Behandlung der Aufmerksamkeitsstörung ADHS verschrieben wird. „Dieser Wirkstoff wird zurzeit am häufigsten auf dem Schwarzmarkt an High Schools und an Universitäten gehandelt“, berichten die Forscher. Allein in den USA nutzten 1,3 Millionen Jugendliche und junge Erwachsene Methylphenidat als Mittel zum Hirndoping, so eine aktuelle Studie.

Bleibende Verhaltensänderungen

Dieser bereits weit verbreitete Missbrauch unter Heranwachsenden ist nach Ansicht von Urban und Gao besorgniserregend. Denn in diesem Alter ist ein entscheidendes Zentrum des Gehirns besonders anfällig für solche Manipulationen: der präfrontale Cortex. „Diese Hirnregion ist das Steuerzentrum für unser Urteilsvermögen, die Kontrolle der Gefühle, des Verhaltens und der Entscheidungsfindung“, erklären die Forscher.

ADHS-Medikament Ritalin (Methylphenidat) © gemeinfrei

Im Gegensatz zu anderen Hirnarealen ist der präfrontale Cortex bei Teenagern und Twens noch nicht ausgereift. Er entwickelt sich noch bis zum Alter von etwa 30 Jahren weiter – und ist in dieser Phase besonders sensibel gegenüber Schwankungen wichtiger Hirnbotenstoffe wie Dopamin und Norepinephrin. „Wenn man dann eine Substanz wie Methylphenidat einnimmt, die diese Neurotransmitter verändert, dann kann das die Reifung des präfrontalen Cortex stören und bleibende Verhaltensänderungen nach sich ziehen“, warnen die Wissenschaftler.

Dies zeigen auch Experimente mit Ratten, die Urban und Gao durchgeführt haben: Erhielten Jungratten niedrige Dosen von Methylphenidat, veränderte sich die Erregbarkeit ihrer Hirnzellen im präfrontalen Cortex – die Aktivität der Neuronen war gedämpft. Das wiederum beeinflusst die Ausschüttung von Botenstoffen, die Gefühle und Verhalten prägen.

Weniger lern- und anpassungsfähig

Aber nicht nur das: Auch die Plastizität des Gehirns könnte durch Hirndoping mit Methylphenidat, aber auch mit dem Narkolepsie-Medikament Modafinil, langfristig gestört werden, warnen die Forscher. „Eine wichtige Eigenschaft des präfrontalen Cortex ist seine hohe Plastizität, sie ist die Basis für das Arbeitsgedächtnis und aktive Entscheidungsfindung“, erklären Urban und Gao. Grundlage dieser Plastizität ist ein gegenüber anderen Hirnarealen sehr hoher Anteil eines bestimmten Rezeptortyps.

Doch genau diesen können die „Smart Drugs“ verändern, wie Versuche mit Ratten zeigten. Erhielten diese in ihrer Jugend niedrige Dosen Methylphenidat oder Modafinil, dann nahm dieser Rezeptortyp selektiv ab. Das wiederum fördert zwar kurzfristig die Aufmerksamkeit, hemmt aber langfristig die Flexibilität und Lernfähigkeit, wie die Forscher erklären.

Methylphenidat wird in unterschiedlichen Formulierungen und unter verschiedenen Präparatnamen verschrieben. Abgestimmt ist seine Wirkung aber auf ADHS-Kranke, nicht auf Gesunde © Alfie66/CC-by-sa 3.0

Nachhaltige Folgen auch bei irrtümlicher ADHS-Therapie

Die Einnahme von Methylphenidat könnte daher für gesunde Jugendliche und junge Erwachsene nachhaltige Folgen haben – und dies auch bei den Kindern, die dieses Mittel irrtümlich gegen ADHS erhalten, ohne tatsächlich an dieser Störung zu leiden. „Diese Behandlung würde bei den Jugendlichen zunächst erfolgreich erscheinen: Sie folgen dem Lehrer aufmerksam, sind weniger hyperaktiv und lernen besser“, so die Forscher.

Aber Tests des Arbeitsgedächtnisses und der Flexibilität des Verhaltens dieser Kinder könnten subtile Defizite enthüllen, die ihr gesamtes weiteres Leben beeinträchtigen. Denn schon bei so simplen Fertigkeiten wie dem Autofahren oder im Sozialverhalten sei es wichtig, flexibel reagieren zu können, erklären Urban und Gao.

Nach Ansicht der Wissenschaftler sind dringend weitere Studien zur Wirkung dieser Mittel bei jungen Menschen nötig. „Schon jetzt gibt es eine hohe Nachfrage für Methylphenidat an Schulen und Universitäten, daher sind viele junge Erwachsene der unkontrollierten Einnahme dieser Substanz ausgesetzt“, warnen sie. „Um den Risiken besser vorbeugen zu können, müssen wir verstehen, welche Veränderungen im Gehirn stattfinden und wie sie das Verhalten und die Hirnplastizität beeinflussen.“ (Frontiers in Systems Neuroscience, 2014; doi: 10.3389/fnsys.2014.00038)

(Frontiers, 14.05.2014 – NPO)

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