Flog oder fliegte? Ging oder gehte? Grammatik zu lernen, funktioniert bei Mädchen und Jungen unterschiedlich, wie ein Experiment von US-Forschern zeigt. Mädchen speichern konsequent alle Verben – egal ob regelmäßig oder unregelmäßig – in einer Art mentalem Wörterbuch. Dadurch lernen sie auch abstrakte Wörter schnell. Jungen dagegen leiten die regelmäßigen über ein Grammatikmodul ab. Ihnen fallen abstrakte Begriffe dabei schwerer, wie die Forscher im Fachmagazin „PLOS ONE“ berichten.
Wie lernen wir sprechen? Wie merken wir uns, dass der Vogel „flog“ und nicht „fliegte“, dass aber der Wind „wehte“? Wie unser Gehirn die Feinheiten der Grammatik verarbeitet, dazu gibt es zahlreiche Theorien. Viele Forscher gehen davon aus, dass wir dafür zwei verschiedene Schaltkreise besitzen: Ein mentales Wörterbuch speichert Wörter und Phrasen als Ganzes, quasi als Klanggebilde. Hier werden auch unregelmäßige Verben memoriert und bei Bedarf abgerufen. Regelmäßige Verben und alles, was sich in der Sprache über feste Regeln herleiten lässt, setzt das Gehirn dagegen mit einer Art Grammatikmodul zusammen.
Lückentext mit Verben
„Was aber dabei genau passiert und welche Teile der Sprache gespeichert und welche zusammengesetzt werden, ist noch immer unklar – und dies erst recht bei Kindern“, erklärt Studienleiterin Cristina Dye von der Newcastle University. Um mehr über die Sprache und das Sprache lernen von Kindern zu erfahren, führten sie und ihre Kollegen ein Experiment mit achtjährigen Schulkindern durch.
Für das Experiment erhielten die Kinder Lückentexte, in denen auf einem vollständigen Satz einer mit fehlenden Verb folgte. Beispiel: „Ich gehe jeden Tag zur Schule. Wie jeden Tag, _____ ich auch gestern zur Schule.“ Die Forscher baten die Kinder, ihnen das fehlende Wort zu nennen, die Zeit und die Zahl der richtigen Antworten bei den insgesamt 29 regelmäßigen und 29 unregelmäßigen Verben wurden gemessen. Gleichzeitig registrierten sie auch, ob den Kindern die richtige Antwort bei Verben leichter fiel, die nicht abstrakt, sondern leicht bildlich vorstellbar sind. Denn dieser Unterschied tritt vor allem dann auf, wenn die Wörter im mentalen Wörterbuch gespeichert werden.
Mädchen nutzen mentales Wörterbuch konsequenter
Wie sich zeigte, gab es deutliche Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen: Jungen merkten sich nur unregelmäßige Verben als Ganzes, regelmäßige setzten sie dagegen mit Hilfe ihres mentalen Grammatikmoduls zusammen, wie die Forscher berichten. Zudem fiel es Jungen leichter, sich Verben zu merken, die gut bildlich vorstellbar waren, mit abstrakten Wörtern taten sie sich schwerer. Mädchen dagegen lernten auch abstrakte Verben schnell, wenn sie häufiger vorkamen.
„Das passt zu vorhergehenden Studien, die ebenfalls Unterschiede zwischen den Geschlechtern feststellten, wenn es darum geht, sich Fakten und Ereignisse zu merken – Mädchen haben dabei offenbar einen Vorteil gegenüber Jungen“, erklärt Dye. Denn das mentale Wörterbuch ist schneller abrufbar.
Diese Erkenntnis zum unterschiedlichen Lernverhalten könnte nach Ansicht der Forscher auch für die Schule wichtig sein: „Mädchen schneiden in der Schule oft besser ab als Jungs, es könnte sein, dass der Lehrplan auf eine Weise zusammengestellt ist, dass er die Art zu Lernen der Mädchen begünstigt“, so Dye. Dies müsse man nun in weiteren Studien prüfen und wenn sich das bestätige, möglicherweise den Unterricht entsprechend anpassen. (PLOS ONE, 2014, doi: 10.1371/journal.pone.0074683)
(Newcastle University, 30.06.2014 – NPO)