Folgenreicher Zusammenstoß: Möglicherweise entging der Merkur in seiner Frühzeit nur knapp einer fatalen Kollision mit einem größeren Protoplaneten. Dieser „Streifschuss“ könnte nach Ansicht zweier US-Forscher erklären, warum der innerste Planet einen so ungewöhnlich großen Kern und wenig Mantel und Kruste besitzt. Auch andere metallreiche Himmelkörper könnten solche Kollisionen hinter sich haben, so die Forscher im Fachmagazin „Nature Geoscience“.
Der Merkur gibt Planetenforschern Rätsel auf. Denn der Metallkern des innersten Planeten macht nahezu drei Viertel seines Volumens aus. Damit weicht er stark von dem Muster aller anderen Gesteinsplaneten des Sonnensystems ab. Warum, ist bisher unklar. Einer Hypothese nach war eine gewaltige Kollision in der Frühzeit des Sonnensystems schuld, ähnlich derjenigen, die einst den Erdmond schuf. Dabei soll ein Protoplanet der halben Merkurgröße den innersten Planet getroffen haben, wodurch dessen Mantel verdampfte.
„Aber mit dieser Hypothese gibt es gleich zwei Probleme“, erklären Erik Asphaug und Andreas Reufer von der Arizona State University in Tempe: Wenn der Kollisionspartner zerstört wurde, müssen sich die ins All geschleuderten Gesteinstrümmer im Laufe der Zeit wieder auf dem Planeten niederschlagen haben. Außerdem enthalten Merkurmantel und Kruste reichlich flüchtige Verbindungen, diese müssten aber beim Verdampfen verlorengegangen sein. Beides spricht nach Ansicht der Forscher gegen eine solche Kollision mit einem kleineren Planetenvorläufer.
Kollision mit größerem Partner?
Asphaug und Reufer haben sich daher das umgekehrte Szenario näher angeschaut: Was wäre, wenn der Merkur nicht mit einem kleineren, sondern mit einem größeren Protoplaneten zusammengestoßen wäre? Immerhin existierten in der Urwolke kurz nach der Entstehung des Sonnensystems reichlich große Brocken. Wäre der junge Merkur seitlich streifend von einem solchen Riesenbrocken getroffen worden, könnte dies seine seltsame Zusammensetzung erklären. In einer Simulation haben die Wissenschaftler diese Theorie nun überprüft.
Das Szenario könnte sich demnach folgendermaßen abgespielt haben: Kurz nach Entstehung des Sonnensystems gibt es inmitten unzähliger größerer und kleinerer Brocken rund ein Dutzend Protoplaneten. Vor allem im inneren Sonnensystem kommt es dabei immer wieder zu Kollisionen. Meist resultieren sie in einer Verschmelzung beider, wodurch die Protoplaneten allmählich wachsen.
Erklärung auch für metallreiche Asteroiden
Doch der junge Merkur wird von einem Streifschuss getroffen: Ein etwa doppelt bis vierfach so schwerer Protoplanet stößt seitlich mit ihm zusammen. Weil die Geschwindigkeit dabei relativ gering ist, überstehen beide Partner die Kollision. Der größere Protoplanet aber reißt beim Vorbeischrammen einen Großteil der Kruste und des Mantels von Merkur mit sich. Übrig bleibt ein innerster Planet, der nur noch eine relativ dünne Gesteinsschicht über seinem Metallkern trägt.
Dass der kleinere Partner solcher Streifschüsse diese oft übersteht, zeigen nach Ansicht der Forscher auch die vielen eisenreichen Asteroiden und Planetoiden im Sonnensystem. Denn auch sie könnten durch Kollisionen mit größeren Brocken ihre äußere Gesteinshülle verloren haben. (Nature Geoscience, 2014; doi: 10.1038/ngeo2189)
(Nature, 07.07.2014 – NPO)