Medizin

HIV-Pandemie begann in Kinshasa

Afrikanische Großstadt war bereits ab 1920 eine Brutstätte für die Pandemie

Kinshasa - in den 1950ern und 1960ern ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt © Atlas du Congo Belge et du Ruanda-Urundi (1955)

Aus einer Stadt in die Welt: Forscher haben erstmals genauer rekonstruiert, von wo aus das Aids-Virus seinen Siegeszug über die Welt begann. Demnach entstand der Urahn des heute verbreitetsten Stammes um 1920 in der afrikanischen Stadt Kinshasa. In der damals boomenden Metropole fand das Virus optimale Bedingungen um sich auszubreiten, wie die Forscher im Fachmagazin „Science“ berichten.

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Der Erreger von Aids hat, wie viele Infektionskrankheiten, seinen Ursprung im Tierreich. Noch heute existiert eine eng verwandte Form, das SIV, bei Affen. Schon länger ist bekannt, dass das Virus Anfang des 20. Jahrhunderts mindestens 13 Mal von Affen und Menschenaffen auf den Menschen übertragen wurde – meist in Form von „Bushmeat“ – Affenfleisch, das verzehrt wurde.

Vom Schimpansen zum Menschen – und dann?

Doch nur eine dieser Übertragungen löste die weltweite Pandemie aus. Welche und warum, das haben Nuno Faria von der University of Oxford und seine Kollegen nun herausgefunden. Dafür rekonstruierten sie die genetische Geschichte des HIV-1 Erregers der Gruppe M – des Stammes, der heute weltweit verbreitet ist. Die Forscher verglichen dafür die DNA von HI-Virenproben aus verschiedenen Gebieten in West und Zentralafrika und aus verschiedenen Zeiten.

„Bisher erbrachten Studien nur fragmentarische Einblicke in die genetische Geschichte von HIV“, erklärt Seniorautor Oliver Pybus. „Wir haben erstmals alle verfügbaren Belege mit Hilfe neuester Analysemethoden untersucht – das ermöglicht es uns, statistisch zu rekonstruieren, wo die HIV-pandemie ihren Ursprung nahm.“

Urbanisierung, Prostitution, Eisenbahn

Demnach war die Brutstätte der Pandemie Kinshasa in der heutigen Demokratischen Republik Kongo. Dort herrschten im frühen 20. Jahrhundert optimale Bedingungen, um dem Virus zu epidemischem Potenzial zu verhelfen. Der gemeinsame Vorfahre des heute verbreiteten HI-Virus entstand dort vermutlich im Jahr 1920, wie die Forscher berichten. Zwischen 1920 und den 1950ern fand die Epidemie dort perfekte Bedingungen für eine Ausbreitung: Durch die Urbanisierung wuchs die Stadt schnell, Handel, aber auch Prostitution blühten.

Eine Schlüsselrolle spielte zudem der Ausbau des Schienennetzes, der Kinshasa zu einem der größten Knotenpunkte Afrikas machte. „Daten aus kolonialen Archiven zeigen, dass gegen Ende der 1940er Jahre jedes Jahr über eine Million Menschen mit dem Zug durch Kinshasa reisten“, sagt Faria. Mit Hilfe der genetischen Analysen wiesen die Forscher nach, dass sich HIV dadurch sehr schnell im Kongogebiet ausbreitete – immer entlang von Eisenbahnrouten und den Flüssen.

Zweiter Schub durch Unabhängigkeit

Als der Kongo 1960 unabhängig wurde, löste dies eine zweite, exponentielle Stufe der Epidemie aus: „Wir glauben, dass die sozialen Veränderungen ab 1960 es dem Virus ermöglichten, aus den bis dahin kleineren Gruppen von Infizierten auszubrechen und eine breitete Bevölkerung und schließlich die ganze Welt anzustecken“, so Faria.

Eine der Triebkräfte war die stark zunehmende Prostitution, eine weitere Schlüsselrolle spielte wahrscheinlich auch – ausgerechnet – ein medizinisches Impfprogramm. Im Rahmen einer Hepatitis-b und C Epidemie in den 1950ern wurden in Kliniken des Landes massenweise Menschen mit nicht-sterilen Nadeln behandelt – die für mehrere Patienten eingesetzten Spritzen förderten vermutlich ebenfalls die HIV-Ausbreitung. Nachdem in West- und Zentralafrika die Durchseuchung hoch war, war es dann nur eine Frage der Zeit, bis dem Erreger per Flugzeug dann auch den Spring auf andere Kontinente gelang. (Science, 2014; doi: 10.1126/science.1256739)

(University of Oxford / Science, 06.10.2014 – NPO)

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