In flagranti ertappt: Mysteriöse Anomalien im interstellaren Gas könnten für Störeffekte bei der Radioastronomie verantwortlich sein. Denn in diesen Gaswolken existieren offenbar Verdichtungen, die wie dünne Schichten oder hohle Nudeln im Gas liegen. Das zeigte sich, als Astronomen erstmals ein solches Störereignis in Echtzeit entdeckt und über längere Zeit beobachtet haben. Wie diese Gebilde aber entstehen und woraus sie bestehen, bleibt unbekannt, so die Forscher im Fachmagazin „Science“.
Schon vor 30 Jahren beobachteten Astronomen ab und zu ein mysteriöses Phänomen, wenn sie weit entfernte Quasare mit Radioteleskopen untersuchten: Irgendetwas im Vordergrund schien die Strahlung so zu streuen, dass ihre Intensität wild fluktuierte. Doch ließ sich weder ein Himmelskörper, noch eine Galaxie ausmachen, die für diesen Streuungseffekt verantwortlich sein könnte. Stattdessen gab es dort nur das ganz normale interstellare Gas.
Doch die interstellaren Wolken aus Wasserstoff und geladenen Teilchen sind viel zu dünn, um einen solchen Störeffekt zu verursachen oder gar wie eine Gravitationslinse zu wirken. „Die Beobachtungen sprachen stattdessen für eine Dichte, die um das Tausendfache höher liegen musste als normalerweise in diesem Medium möglich“, erklären Keith Bannister und seine Kollegen. Aber um was handelte es sich?
In flagranti ertappt
Das Problem dabei: Bisher war es noch nie gelungen, eines dieser Extremen Streuungsereignisse (ESE) in Echtzeit und in mehreren Wellenlängen zu beobachten. Aber genau dies ist nötig, um mehr über die Natur dieser Ereignisse zu erfahren. „So könnte eine zeitweilige Rötung der Hintergrund-Quelle im optischen Licht auf die Präsenz von Staub hindeuten und Absorptionslinien verraten die chemische Zusammensetzung“, erklären die Forscher.
Um diese Fragen zu klären, haben Bannister und seine Kollegen rund 1.000 aktive Galaxienkerne regelmäßig einmal im Monat beobachtet, um nach Extremen Streuungsereignissen zu suchen. Und sie wurden fündig: Vor dem Quasar PKS 1939-315 entdeckten sie ein solches Ereignis und es gelang ihnen, dieses über ein Jahr hinweg mit einer ganzen Batterie von Teleskopen zu verfolgen.
Anomalien im interstellaren Gas
Erstmals gelang es den Astronomen dadurch, Näheres über Form und Größe dieser rätselhaften Linsen im scheinbar fast leeren Raum zu erfahren. Wie sich zeigte, wird der Streuungseffekt offenbar durch Anomalien im interstellaren Gas verursacht. „Diese unsichtbaren Klumpen wirken wie Linsen und fokussieren und streuen die Radiowellen“, erklärt Bannister. Diese seltsamen Linsen im Gas müssen etwa zwei astronomische Einheiten groß sein und damit so groß wie der Orbit der Erde um die Sonne.
Die Beobachtungen mit optischen Teleskopen enthüllten, dass die Störeffekte nur auf Radiowellen wirken, im sichtbaren Licht treten sie nicht auf. Das könnte auch erklären, warum man in den interstellaren Gaswolken keine Klumpen oder Ähnliches sehen kann. Die Gebilde sind für herkömmliche Teleskope unsichtbar.
Hohle Nudeln und flache Schichten
Interessanterweise handelt es sich bei den Urhebern der Streuungsereignisse aber nicht um simple, dichtere Klumpen im interstellaren Gas, wie die Daten zeigen. Stattdessen müssen sie eine ungewöhnlichere Form besitzen: „Wir könnten von der Seite auf eine flache Schicht schauen oder genau in die Öffnung eines langen Zylinders – wie eine Nudel“, berichtet Cormac Reynolds von der australischen Forschungsorganisation CSIRO. Aber auch eine hohle Kugel wäre denkbar. Weitere Beobachtungen müssen die endgültige Geometrie dieser Gaslinsen klären.
Aber woraus bestehen diese Gebilde im interstellaren Gas? Und wie entstehen sie? Bisher gibt es dazu mehr Spekulationen als klare Fakten. So vermuten die Forscher, dass es sich um kalte Gaswolken handeln könnte, die durch ihre eigene Schwerkraft in diese seltsame Form gebracht und zusammengehalten werden. Warum dies aber in so ungewöhnlicher Geometrie geschieht und nicht einfach in Klumpen, ist offen.
Durchaus häufig?
Auch wenn viele Details zu diesen rätselhaften Streulinsen noch unbekannt sind – die Astronomen gehen davon aus, dass solche Gebilde in der Milchstraße alles andere als selten sein können. Möglicherweise mache sie sogar einen substanziellen Anteil der Masse unserer Galaxie aus. „Diese Strukturen sind real“, betont Bannister.
„Ihre Existenz könnte unsere Vorstelllungen über das interstellare Gas radikal umkrempeln“, ergänzt der Forscher. Denn dieses Gas zieht sich wie eine Art „Atmosphäre“ durch die gesamte Galaxie und bildet eine Art Rohstoffdepot: In dieses Medium gehen einerseits die von Supernovae ausgeschleuderten Gase ein und verteilen sich, andererseits bilden sich in den dichteren Zonen dieses Gases neue Sterne. (Science, 2016; doi: 10.1126/science.aac7673)
(CSIRO Australia, 22.01.2016 – NPO)