Geowissen

Mysteriöse Riesenwellen über der Antarktis

Vibrationen des Ross-Eisschelfs erzeugen gewaltige Atmosphärenwellen

Blick auf die Kante des Ross-Schelfeises. Vibrationen dieser riesigen Eisfläche erzeugen geheimnisvolle Atmosphärenwellen. © NOAA

Folgenreiche Vibrationen: Über der Antarktis beobachten Forscher schon länger rätselhafte Luftwellen – gewaltige, 30 Kilometer hohe Schwingungen in der Atmosphäre. Jetzt zeigt sich: Auslöser dieser Riesenwellen sind winzige Vibrationen im Ross-Eissschelf. Sie übertragen sich auf die Luft und werden enorm verstärkt. Diese Übertragung erklärt auch, warum die Atmosphärenwellen so nur in diesem Gebiet auftreten.

Als Forscher vor einigen Jahren den Himmel über der antarktischen McMurdo-Polarstation mittels Lidar abtasteten, entdeckten sie ein seltsames Phänomen: In rund 30 bis 115 Kilometern Höhe durchzogen gewaltige Wellen die Atmosphäre. Ihre Amplitude lag bei 20 bis 30 Kilometern und ein Auf- und Abschwingen dauerte zwischen drei und zehn Stunden.

Seltsam auch: Diese Wellen halten seit nunmehr fünf Jahren an und scheinen sich kaum zu verändern. „Eine solche atmosphärische Aktivität ist in gemäßigten oder niedrigen Breiten noch nie beobachtet worden“, erklärt Oleg Godin von der Naval Postgraduate School in Monterey. Was diese mysteriösen Wellen verursacht, blieb bisher rätselhaft.

Schelfeis als Verstärker?

Jetzt jedoch könnten Godin und sein Kollege Nikolay Zabotin von der University of Colorado einen Auslöser für die antarktischen Schwingungen entdeckt haben: das Ross-Schelfeis. Mit einer Fläche von rund einer halben Million Quadratkilometern ist diese Packeis-Zone ungefähr so groß wie Frankreich – und das größte Schelfeisgebiet der Antarktis.

Der Verdacht der Forscher: Diese riesige Eisdecke könnte wie eine Lautsprechermembran wirken und winzige Schwingungen des Meeeres verstärken und auf die Luft übertragen. „Die enorme Ausdehnung des Ross-Schelfeises erleichtert die Übertragung von Vibrationen auf die Luft und die Umwandlung in lange Atmosphärenwellen“, erklären Godin und Zabotin.

Lage des Ross-Schelfeises in der Antarktis © NOAA

Von der Vibration zur Riesenwelle

Ob das Schelfeis tatsächlich die Ursache der Atmosphärenwellen sein kann, überprüften die Forscher mit Hilfe zweier theoretischer Modele und Simulationen. Dabei zeigte sich: Egal, ob man das Schelfeis als homogene Scheibe oder als geschichtetes Material betrachtet, in beiden Fällen können schon kleinste Vibrationen des Eises die enormen Luftwellen hervorrufen.

Schwingt das Schelfeis beispielsweise nur um einen Zentimeter auf und ab, überträgt sich diese Bewegung schon auf die darüberliegende Luft. Diese Schwingung wiederum pflanzt sich nach oben hin fort und nimmt dabei immer weiter an Amplitude zu, wie die Modelle belegten. In den dünnen Luftschichten der oberen Atmosphäre können sie dann lilometerhoch werden.

Wertvolle Informationen über das Eis

Nach Ansicht der beiden Forscher könnte damit das Rätsel der antarkischen Riesenwellen gelöst sein: „Selbst unser stark vereinfachtes Modell erklärt schon sehr gut die wichtigsten Merkmale der beobachteten Wellen“, sagt Godin. „Das ist schon deutlich mehr als nur eine Hypothese.“

Sollte sich dies bestätigten, dann wären die atmosphärischen Wellen sogar doppelt interessant. Denn aus ihren Schwingungen ließen sich möglicherweise wertvolle Informationen über den Zustand des Schelfeises ziehen. Die mittels Lidar relativ gut zu messenden Luftschwingungen könnten dann beispielsweise Auskunft darüber geben, wie stark das Eis unter Spannung steht oder wie stabil es ist. (Journal of Geophysical Research – Space Physics, 2016; doi: 10.1002/2016JA023226)

(American Geophysical Union, 26.10.2016 – NPO)

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