Phänomene

„Ich sehe was, was du auch siehst“

Die Sache mit dem Perspektivwechsel

Doch allein diese Ergebnisse wollten die beiden Forscherinnen noch nicht als Beweis dafür werten, dass Hunde in solchen Situationen tatsächlich verstehen, was ein Mensch sehen kann oder nicht. Schließlich könnte es ja auch sein, dass die Hunde einfach nur auf die Augen ihres Partners reagierten, weil sie gelernt haben, dass er immer dann aufmerksam ist, wenn seine Augen zu sehen sind.

Dass Hunde die Perspektive des Menschen verstehen, zeigte dieser Versuch. Meist brachten sie das Spielzeug, das hinter der Glaswand lag. Sie wussten offenbar, dass ihr Partner nur dieses sehen konnte und sich der Bringbefehl demnach nur darauf beziehen konnte. © MPI für evolutionäre Anthropologie

Was sieht mein Mensch gerade?

Um herauszufinden, ob Hunde nun diesen kognitiven Perspektivwechsel hinbekommen oder nicht, setzten die beiden Forscherinnen eine weitere Versuchsreihe an. Diesmal als Spielsituation mit zwei Spielzeugen, die sie auf den Boden zwischen Mensch und Hund platzierten. Vor jedes Spielzeug stellten sie je eine Barriere: eine undurchsichtige, die dem Menschen den Blick auf das Spielzeug versperrte; die andere war transparent, sodass er den Gegenstand sehen konnte. Für den Hund, der auf der anderen Seite saß, waren beide Objekte gleichermaßen sichtbar.

Nun forderte der Mensch den Hund mit dem Kommando „Bring’s“ auf, ihm eines der Spielzeuge zu apportieren – allerdings ohne dieses genauer zu bezeichnen. Wenn die Hunde etwas über die Perspektive des Menschen verstehen und darüber, was er sehen kann, sollten sie das Spielzeug hinter der durchsichtigen Barriere bevorzugen. Denn nur dieses ist in seinem Sichtfeld, und demnach kann sich sein Befehl nur darauf beziehen. Wenn der Hund jedoch nur auf den Stimulus Auge reagiert, dürfte er keines der beiden Spielzeuge bevorzugen und sie gleich oft apportieren, weil er die Augen seines menschlichen Spielpartners in Verbindung mit beiden Spielzeugen wahrnimmt.

Test bestanden

Tatsächlich entschieden sich die Hunde häufiger für den Gegenstand, der sich vor der transparenten Barriere befand. Nun kann es aber sein, dass der Hund einfach die durchsichtige Barriere bevorzugte – etwa, weil das Spielzeug da heller aussah oder weil er so den Menschen besser im Blick hatte, während er es apportierte. Deshalb wurden zwei weitere Kontrollrunden eingeführt, bei denen der Hund keine Präferenzen für eines der Spielzeuge zeigen sollte.

In der einen Runde sah der Mensch beide Objekte, weil er auf der Seite des Hundes saß; in der anderen konnte er keines sehen, weil er mit dem Rücken zum Spielgeschehen saß. Die Hunde zeigten zwar eine gewisse Vorliebe für die durchsichtige Barriere, wenn der Mensch ihnen abgewandt war, jedoch war ihre Präferenz am größten, wenn der Mensch ihnen gegenüber saß und wirklich nur das Spielzeug hinter der transparenten Barriere sah.

In die Perspektive des Menschen versetzt

„Dieses Ergebnis könnte bedeuten, dass Hunde tatsächlich ein gewisses Verständnis dafür haben, was der Mensch sehen kann“, sagt Juliane Kaminski. Ob sich Hunde damit als optimaler Partner für das Spiel „Ich sehe was, was du nicht siehst“ empfehlen, mag dahingestellt sein, doch die Grundausstattung dafür bringen sie auf jeden Fall mit.

Selbst über die Affenforschung auf den Hund gekommen, ist Bräuer seit zwei Jahren wissenschaftliche Betreuerin der Hundeforschung und koordiniert mit Susanne Mauritz die laufenden Projekte. Mauritz sorgt mit Aufrufen in den Medien dafür, dass interessierte Hundebesitzer sich für die beobachtenden Studien anmelden können. „Die Leute kommen gern, weil sie neugierig sind, was ihr Hund eigentlich alles kann, und weil sie wissen, dass ihr Hund bei uns gut betreut und geistig gefordert wird“, erzählt Mauritz.

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Birgit Fenzel / MaxPlanckForschung
Stand: 30.07.2010

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