Galileo Galilei hatte schon vor mehr als 350 Jahren seinen Ruf weg: Einerseits verurteilter „Ketzer“, andererseits aber auch einzigartiger Universalgelehrter in den Naturwissenschaften, Begründer der modernen Astronomie, genialer Physiker und Mathematiker und Philosoph. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Ganz im Gegenteil. Der Forscher hat sich längst zum Mythos entwickelt. Er gilt als Symbol für die Ablehnung des wissenschaftlichen Fortschritts durch die Kirche und als Sinnbild für die freie Erforschung der Wahrheit. Sein Image vom Revolutionär gegen die Obrigkeit manifestiert sich zudem in dem ihm zugeschriebenen Spruch: „Und sie (die Erde) dreht sich doch“, der längst zum geflügelten Wort wurde.
Wie sehr Galilei bewundert und verehrt wird, zeigen nicht nur unzählige Schulen, sondern auch ein Mond- und ein Marskrater, ein Thermometer, eine Raumsonde, ein Satellitennavigationssystem und sogar eine Fernsehsendung, die seinen Namen tragen.
Repräsentant des Jahres der Astronomie
Eine späte Ehrung seiner Leistungen erfuhr Galilei schließlich zuletzt im Jahr 2009: Damals stand er zusammen mit Johannes Kepler im Mittelpunkt des Internationalen Jahres der Astronomie 2009 der Vereinten Nationen. Begründung: „400 Jahre nach der ersten Himmelsbeobachtung mit einem Fernrohr durch Galilei soll in Deutschland und 98 anderen Ländern dieses Ereignis mit zahlreichen Veranstaltungen als Meilenstein der menschlichen Entwicklung gefeiert werden.“
Doch ist der ganze Hype um Galilei überhaupt berechtigt? War er tatsächlich das Genie mit Scharfsinn? Ein makelloser strahlender Held? Ja, und nein. Zu diesem Schluss kommt man jedenfalls, wenn man einen Blick hinter die Kulissen wirft.
Erfolgreicher Forscher…
Unumstritten sind zweifellos viele seiner Leistungen in der Mathematik und in der Physik: Die Fallgesetze, die Erfindung der schiefen Ebene, die Erforschung der Pendelbewegung – all dies ist sein Verdienst und natürlich das seiner Helfer und Mitarbeiter. Er hat dabei sicher auch den Grundstein gelegt für die Etablierung des klassischen Weges der naturwissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung: Theorie aufstellen, messen und beobachten, Ergebnisse auswerten, Hypothese bestätigen und verwerfen. Diese Vorgehensweise war weitgehend neu und unter Gelehrten bis dahin keineswegs üblich.
…mit falschem Ruhm
Ein Trendsetter und Pionier war Galilei zudem in der Astronomie. Dort wurde er für Entdeckungen wie den Phasenwechsel der Venus oder das Erkennen der wahren Natur der Milchstraße wohl zu recht gefeiert. Aber gerade in diesem Fachgebiet sind im Laufe der Zeit auch einige Legenden entstanden, die mit der Realität meist nur wenig gemeinsam haben. So war Galilei keineswegs – wie er selbst gerne behauptete – der Erfinder des Teleskops. Diese Meisterleistung gelang niederländischen oder deutschen Linsenschleifern bereits einige Jahre zuvor.
Ebenso falsch ist es Galilei den Ruhm zuzusprechen, mit dem neuen Teleskop als erster gen Himmel geblickt und damit quasi allein die Teleskop-Astronomie begründet zu haben. So machten Historiker der britischen Universität von Oxford anlässlich des Internationalen Jahres der Astronomie 2009 einen anderen Forscher bekannter, dem diese Ehre viel eher zu gebühren scheint: Thomas Harriot.
Harriot: unbesungener Held der Wissenschaft
Denn er war es, der schon im Sommer 1609 mit seinem Fernrohr den Mond beobachtete und erste Zeichnungen von seiner Oberfläche anfertigte. Harriot kam aber auch schon vor Galilei den Jupitermonden und den Sonnenflecken auf die Spur. Grund für seine fehlende Popularität in Wissenschaft und Öffentlichkeit: Harriot hat seine Skizzen und Aufzeichnungen nicht veröffentlicht. Der Oxforder Wissenschaftler Allan Chapman fasste 2009 Harriots Bedeutung so zusammen: „Die Zeichnungen Thomas Harriots markieren den Beginn der modernen Astronomie. Thomas Harriot ist ein unbesungener Held der Wissenschaft.“
Anbiederung ans Militär
Kaum ein gutes Haar an Galilei lässt auch Hans Conrad Zander in seinem Buch „Kurzgefasste Verteidigung der Heiligen Inquisition“. Darin zitiert er Galilei: „Auf dem Meere werden wir die Fahrzeuge und Segel des Feindes zwei Stunden früher entdecken, als er unser ansichtig wird. Indem wir so die Zahl und Art seiner Schiffe unterscheiden, können wir seine Stärke beurteilen, um uns zur Verfolgung, zum Kampf oder zur Flucht zu entschließen. Ebenso lassen sich auf dem Lande die Lager und Verschanzungen des Feindes innerhalb seiner festen Plätze von entfernten, hochgelegenen Stellungen aus beobachten und auch auf offenem Felde zum eigenen Vorteil jede seiner Bewegungen und Vorbereitungen sehen und in allen Einzelheiten unterscheiden.“
Zander bewertet dessen Ausführungen so: „Aufschlussreicher als das, was einer sagt, ist aber die Art, wie er es sagt. ‚Wir werden‘, ‚wir können‘, ‚wir unterscheiden‘, ‚wir beurteilen‘, das ist, obwohl aus Galileis Mund hoch auf dem Campanile von San Marco ertönend, nicht etwa der Plural majestatis. Es ist das „Wir“ bedenkenloser und vorbehaltloser Anbiederung eines Wissenschaftlers mit dem Militär.“
Proforma-Prozess?
Einigermaßen verklärt dargestellt werden zudem häufig auch Galileis Prozess vor der Inquisition und seine Verurteilung. So sind andere angebliche Ketzer vor und nach ihm aus viel weniger gewichtigen Gründen viel schärfer bestraft und auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden. Galilei saß zudem weder während noch nach dem Prozess längere Zeit im Gefängnis – von Hungern oder Folter ganz zu schweigen. Vieles deutet daraufhin, dass Papst Urban VIII. zwar aus machtpolitischen beziehungsweise taktischen Gründen den Fall Galilei ins Rollen brachte – und vielleicht bringen musste. Letztendlich hielt er aber doch seine schützende Hand über seinen Jugend- und Studienfreund.
Stand: 30.04.2010