Wenn man über Doping bei deutschen Wintersportlern nachdenkt, fällt einem spontan der Name Claudia Pechstein ein. Die fünfmalige Olympiasiegerin und vielfache Weltmeisterin wurde im Jahr 2009 ohne positiven Test nur anhand von Indizien – zu hohe Retikulozytenwerte – des Blutdopings überführt und mit einer zweijährigen Sperre belegt.
Pechstein kein Einzelfall?
Doch Pechstein ist offenbar kein Einzelfall: Im deutschen Spitzensport wird vermutlich weitaus mehr gedopt als offiziell angegeben. Dies legt zumindest eine Studie nahe, die Mainzer und Tübinger Forscher im Herbst 2009 vorgestellt haben. Auf der Basis anonymer Befragungen von Nachwuchs-Leistungsportlern enthüllten sie darin, dass die tatsächlichen Dopingzahlen um das Achtfache höher liegen könnten, als bisher gedacht.
Bislang gab es zwar Schätzungen über die Dunkelziffern beim Doping und bei der Verwendung von illegalen Medikamenten im Freizeitsport, nicht aber für den Spitzensport. Dort fielen bei den Dopingtests der Internationalen und Nationalen Anti Doping Agenturen lediglich rund ein Prozent der Test positiv aus – relativ stabil während der letzten fünf Jahre.
Befragung über anonyme Interviews
Professor Perikles Simon vom Institut für Sportwissenschaft der Universität Mainz, Heiko Striegel von der Medizinischen Universitätsklinik Tübingen und ihr Kollege Professor Rolf Ulrich vom Psychologischen Institut der Universität Tübingen bezweifelten, dass dies der Realität entspricht. „Die offiziellen Tests unterschätzen das Problem“, so Simon. Die Forscher haben daher junge Leistungssportler mit einer anonymen indirekten Interviewtechnik befragt.
„Ein ähnliches Versuchskonzept wurde bereits in den 1960er Jahren angewandt, um zuverlässige Informationen über Straftaten wie zum Beispiel Alkoholschmuggel zu erhalten“, erklärt Simon. Das Verfahren war dann in Vergessenheit geraten und wurde von der Arbeitsgruppe wieder eingesetzt, um zunächst die Dunkelziffer für Doping im Freizeit- und Breitensport zu ermitteln, aber auch um den illegalen Konsum von Drogen wie Kokain einzuschätzen.
6,8 Prozent geben Doping zu
Bei den jetzt vorgelegten Untersuchungen hat die Arbeitsgruppe 480 Bundes- und Landeskaderathleten aus dem Nachwuchsbereich mit einem Durchschnittsalter von 16 Jahren befragt. 6,8 Prozent der Athleten gaben zu, schon einmal Dopingsubstanzen verwendet zu haben. Dies ist acht Mal mehr als der Prozentsatz von 0,81, den die Nationale Anti Doping Agentur Deutschland bei ihren Tests in den Jahren 2003 bis 2005 ermittelt hatte.
„Die Behauptung, in Deutschland gebe es so gut wie kein Doping unter den Leistungssportlern, ist falsch“, so Simon. „Wir zeigen mit dieser Studie klar und deutlich, dass im Spitzensport auch bei uns unerlaubte Substanzen eingesetzt werden“, sagt Striegel. Während im gehobenen Leistungssport meistens Dopingmittel verwendet werden, die kaum nachweisbar sind, finden im Nachwuchsbereich kaum oder gar keine Kontrollen statt.
Hier sieht das Forscherteam aus Mainz und Tübingen dringenden Handlungsbedarf zur Prävention und zur stärkeren Kontrolle. „Neben der Prävention ist es auch notwendig, mehr finanzielle Mittel für die Erforschung von Dopingnachweisen bereitzustellen“, so Striegel.
Stand: 12.02.2010