Bis in die Arztpraxen hat es eine weitere vielversprechende Entwicklung aus Garching noch nicht gebracht – ist aber auf dem besten Weg dazu: Seit einigen Jahren arbeiten die Forscher gemeinsam mit Stephan Springer, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie am Heckscher-Klinikum in München, an der Analyse von Elektroenzephalogrammen (EEG). „Der visuellen Auswertung eines EEG mit durchschnittlich 16 bis 20 Kanälen sind Grenzen gesetzt, da das Signal eine diskontinuierliche Mischung unterschiedlicher Frequenzen, Muster und ereigniskorrelierter, sogenannter Graphoelemente besteht“, erklärt Springer. „Es eignet sich aber hervorragend für eine mathematische Analyse.“
Mit ihrer Hilfe können Eigenschaften der Signale ausgewertet werden, die der Mensch visuell nicht erkennen kann: In einem EEG gibt es eine Grundaktivität mit einer Frequenz von rund zehn Hertz sowie viele andere Frequenzen, die insgesamt ein sehr unübersichtliches Bild ergeben. „Ein Arzt kann mit jahrelanger Übung ein Gefühl für Frequenzwechsel, Frequenzmischungen und Formen entwickeln und dann allenfalls stärkere Abweichungen bemerken, während kleinere Änderungen visuell nicht festgestellt werden können“, sagt Springer.
Der Ursache von epileptischen Anfällen auf der Spur
In den Minuten vor einem epileptischen Anfall werde beispielsweise die Schwingungsamplitude kleiner, während sich die Frequenz erhöht. Das deute darauf hin, dass im Gehirn Hemmungen abgebaut werden und ein Anfall auftritt, eventuell verbunden mit Bewusstlosigkeit. Den Zeitraum einer Anfallsvorhersage zu verlängern, war wichtigstes Ziel früherer mathematischer EEG-Analysen.
Im ersten Schritt der Zusammenarbeit mit Wolfram Bunk und seinen Kollegen wurden die EEGs eines zwölfjährigen Patienten untersucht, von dem zahlreiche EEG-Aufzeichnungen aus mehreren Jahren vorlagen. Er litt an einer Frontallappenepilepsie, die hartnäckig und nur sehr schwer zu behandeln ist. Zudem können die Ärzte bei dieser Variante der Epilepsie zwischen den Anfällen im EEG visuell nur wenig erkennen. Darum lag es nahe, in den erfassten Hirnströmen nach auffälligen Mustern zu suchen und sie mit der Entwicklung des klinischen Bildes, das sich die Ärzte gemacht hatten, in Zusammenhang zu bringen.
Auffällige Interaktionen der Hirnhälften
Mit Erfolg: „Die Untersuchungen haben ergeben, dass bei dem Patienten die Wechselwirkungen zwischen der linken und der rechten Gehirnhemisphäre gegenüber einem Kollektiv unauffälliger Kinder deutlich verändert waren“, berichtet Springer. Starke Wechselwirkungen zwischen den vorderen und hinteren Gehirnregionen sind normal – wahrscheinlich weil sie durch zahlreiche Nerven miteinander verbunden sind.
Es gibt aber nur wenige definierte Bahnen zwischen den beiden Hemisphären unseres Denkapparates – darum deuteten die ungewöhnlichen Aktivitäten auf einen Zusammenhang mit der Epilepsie hin. „Die Mustererkennung ist deshalb so wertvoll, weil diese Wechselwirkungen visuell nicht zu erkennen wären“, so der Experte und verweist auf weitere Indizien: „Das Auftreten und der Rückgang der Auffälligkeiten verliefen ungefähr parallel mit dem Auftreten und der Besserung der schweren psychiatrischen Auffälligkeiten im Rahmen der Epilepsie.“
Christian Buck/ MaxPlanckForschung
Stand: 20.11.2009