In den großen Werkshallen des Max-Planck-Instituts kochen die Wissenschaftler ihre verschiedenen Stahllegierungen und untersuchen die Varianten. Mannshohe Schmelzanlagen stehen dort. Mehr als zentnerschwere Gussblöcke lassen sich mit unterschiedlichen Schmelzverfahren herstellen und anschließend zu Blechen auswalzen. An anderen Maschinen testen Techniker fingerbreite Stahlproben. Die werden in eine Art Schraubstock eingespannt und gedehnt: Wie stark gibt der Stahl nach? Wann reißt er?
Dehnbar um das Doppelte
Die Messwerte für die am Max-Planck Institut neu entwickelten Stähle waren überwältigend. Die Stähle erwiesen sich als extrem fest und zugleich sehr dehnbar, vor allem Stahl mit einem Gehalt von 15 Prozent Mangan und jeweils drei Prozent Aluminium und Silizium. Er lässt sich um mehr als 50 Prozent dehnen. Zugleich verfestigt er sich stark, ohne zu zerreißen. Er widersteht Spannungen von bis zu 1100 MegaPascal. Das entspricht in etwa dem Gewicht von zehn Elefantenbullen auf einer Briefmarke. Herkömmliche höherfeste Karosseriestähle reißen bereits bei etwa 700 MegaPascal.
Verblüffend war auch das Verhalten von Stahl mit einem Anteil von 25 Prozent Mangan und jeweils drei Prozent Aluminium und Silizium (MnAlSi25-3-3). Zwar verfestigte der sich nicht so stark. Er ließ sich aber um etwa 90 Prozent in die Länge ziehen, ohne zu zerreißen. Frommeyer: „Eine solche Duktilität, Dehnbarkeit, erreicht nicht einmal Gold, das als ausgesprochen duktil gilt. Bei 60 Prozent Dehnung ist da Schluss.“
Kippende Kristallgitter
Die neue Legierung ähnelt den Trip-Stählen, die seit etwa zehn Jahren auf dem Markt sind. Trip steht für transformation induced plasticity, zu Deutsch: durch Kristallgitter-Transformation induzierte plastische Verformbarkeit. Wie die Stähle aus den Mülheimer Schmelztöpfen zeichnet sich auch
herkömmlicher Trip-Stahl durch eine hohe Festigkeit von bis zu 700 Mega- Pascal aus. Ihre Dehnbarkeit hingegen ist mit rund 35 Prozent eher moderat. Ihr Verhalten – Dehnung bei gleichzeitiger Verfestigung – ist auf Umformungen im Kristallgitter zurückzuführen. Werden Kräfte auf den Stahl ausgeübt, kippen die Kristallgitter aus der kubisch flächenzentrierten Austenitstruktur in die kubisch raumzentrierte – den Martensit. Diese kollektive Scherung der Kristallgitterebenen bewirkt letztlich die Dehnbarkeit im herkömmlichen Trip-Stahl.
Tim Schröder/ MaxPlanckForschung
Stand: 06.11.2009