Irgendwann, davon ist auch der französische Sportwissenschaftler Jean-François Toussaint überzeugt, stößt jede Rekordentwicklung in der Leichtathletik an eine unüberwindliche Grenze – das Leistungslimit des menschlichen Körpers. Aber wann wird diese erreicht sein? Genau diese Frage hat Toussaint, Leiter des nationalen französischen Sportinstituts „Institut de Recherche Biomédicale et d’Épidémiologie du Sport“ (IRMES), gemeinsam mit Kollegen untersucht. Auch er setzte dafür nicht sportmedizinische, sondern mathematische Methoden ein.
Sein Ziel: die Leistungsentwicklung der Zukunft anhand der vergangenen Entwicklung vorherzusagen. Seine Hypothese: Irgendwann ist der Leistungssteigerung eine körperliche Grenze gesetzt. Um diese Annahme zu überprüfen, sammelten die Forscher Daten von Weltrekorden seit Beginn der modernen Olympischen Spiele im Jahr 1886 in 147 olympischen Disziplinen. Anschließend analysierten sie die Anzahl und Art der Rekorde pro Olympiade mithilfe des so genannten Levenberg-Marquardt Algorithmus, einer Funktion zur Lösung nicht-linearer Probleme mit absteigenden Werten.
2060 ist Schluss
Das Ergebnis ihrer Berechnungen veröffentlichten sie im Februar 2008 im Fachmagazine „PloS One“ – und sorgten damit für reichlich Aufsehen. Denn zumindest mathematisch scheinen demnach der menschlichen Leistungsfähigkeit klare Grenzen gesetzt, deren Erreichen Toussaint sogar zeitlich prognostizieren kann.
Demnach könnten die Männer im 100-Meterlauf und im 50-Meter Freistil-Schwimmen bereits im Jahr 2019 an die absolute Grenze der Steigerungsfähigkeit kommen. In anderen Disziplinen gibt es dagegen noch etwas mehr Raum für Steigerungen. So soll die Leistungsgrenze beim Marathon erst um 2080 fallen, beim 1.500 Meter Eisschnelllauf der Frauen sogar erst 2099.
Zweigeteilte Kurven
Doch trotz dieser Unterschiede ergab sich – übergreifend für alle Disziplinen – im Gesamtverlauf ein sehr ähnliches Muster der Kurven: In allen Bereichen waren die Fortschritte zu Beginn des 20. Jahrhunderts sehr groß, Rekorde fielen schnell und deutlich. Dann ein Einschnitt: Während der beiden Weltkriege flachten die Kurven ab. In den 1950er und 60er Jahren kam erneut ein Umschwung: Wieder schienen die Leistungen zu explodieren, die Kurve war deutlich steiler. Nach Ansicht von Toussaint spiegelt der Leistungszuwachs dieser Phase zum einen die Verbesserungen in Ernährung und Medizin wieder, zum anderen aber auch neue, zunehmend wissenschaftlich begleitete Trainingsmethoden. Doping oder sonstige Tricks erwähnt der Forscher zwar nicht explizit, aber auch sie spielen sicher mit eine Rolle.
Allmähliches Abflachen ab 1970
Dann allerdings, ab etwa 1970, veränderte sich das Bild allmählich: „Die letzte Periode zeigt, dass sich der qualitative Abstand zwischen den aufeinanderfolgenden Rekorden mehr und mehr verringert“, erklärt Toussaint. „Gleichzeitig wird die Zeit zwischen den Rekorden immer länger – kurz gesagt: die Rekorde werden seltener. Im Schwimmen, der Leichtathletik, dem Bahnradfahren, dem Eisschnelllauf und dem Gewichtheben bilden die 3.300 Weltrekorde eine Asymptote, die nicht die persönlichen Leistungsgrenzen, sondern die Grenzen der Art Mensch repräsentiert.“ Kennzeichen einer Asymptote ist die immer flacher werdende Annäherung an einen Grenzwert: Je näher die Kurve diesem kommt, desto geringer werden die Veränderungen.
Aus allen Kurven ergibt sich nach Toussaint, dass im Jahr 2060 die noch möglichen Steigerungen generell zu 99,95 Prozent ausgeschöpft sein werden.
Stand: 13.08.2009