Die Nordsee am 16. März 2000. Der niederländische Fischkutter UK 33 zieht auf halbem Weg zwischen England und den Niederlanden langsam seine Kreise. Plattfische wie Schollen oder Seezungen wollen die Männer an Bord fangen. Je mehr desto besser. Mit besonderen Schleppnetzen – so genannten Baumkurren – schaben sie dazu den Meeresboden ab und versuchen so, die im Sand vergrabenen Tiere aufzuscheuchen.
Doch als die Fischer dieses Mal südwestlich der Braunen Bank ihr Netz einholen, erwartet sie eine wissenschaftliche Sensation – sie wissen es nur noch nicht. Denn zwischen den vielen Plattfischen hat sich auch ein ungewöhnlicher Knochen in der Baumkurre verfangen. Über einige Umwege gelangt er schließlich zu den Paläontologen um Professor Jelle W.F. Reumer und Dick Mol vom Naturhistorischen Museum Rotterdam.
Jüngster Fund Europas
Radiokarbon-Datierungen und andere Untersuchungen ergeben schließlich, dass der Knochen rund 28.000 Jahre alt ist und damit aus der Zeit stammt, in der Nordsee während der letzten Eiszeit trockenen Fußes begehbar war. Dieses „Nordseeland“ bevölkerten damals Tiere wie Mammuts, Wollnashörner oder Riesenhirsche. Doch von diesen Tieren stammte der Knochen nicht, das war klar – sondern von der Säbelzahnkatze Homotherium latidens.
„Als wir einen Unterkieferast von einer Säbelzahnkatze in der Nordsee entdeckt haben und feststellten, dass es sich um die Gattung Homotherium aus dem Spätpleistozän handelt, war die Hölle los. Keiner hatte gedacht, dass die Säbelzahnkatzen in Nordwest-Europa noch so lange vorkamen. Jetzt ist das weltweit akzeptiert“, sagt Mol im Interview-Weblog von Doris und Ernst Probst. Bis dahin stammte der jüngste aus Europa bekannte Fund aus einer Zeit vor rund 300.000 Jahren.
Noch mehr Relikte aus der Urzeit
Doch dieser uralte Knochen ist mittlerweile nicht mehr das einzige Relikt einer Säbelzahnkatze, das in der Nordsee gefunden worden ist. Vor der Küste Ostenglands ging Fischern im August 2008 ein Teil eines Oberarmknochens von Homotherium crenatidens ins Netz. Es handelt sich dabei um den nördlichsten Fund dieser Spezies überhaupt. Das Fossil war bedeckt mit Kolonien von winzigen korallen-ähnlichen Organismen, so genannten Moostierchen oder Bryozoen.
Analysen ergaben hier, dass der Knochen rund 850.000 Jahre alt ist. Wie Mol vermutet, stammt der Fund von einem riesigen männlichen Tier, das möglicherweise über 400 Kilogramm schwer war. Der Forscher geht davon aus, dass Homotherium crenatidens in kurzen Intermezzos zwischen den Vereisungen hier in Nordwesteuropa existiert haben könnte.
Serengeti im Hinterhof
„Die Katze lebte möglicherweise in den Wäldern, die an die damaligen Flüsse grenzten“, so Mol in einem Interview mit der BBC. Sie war zusammen mit dem Südlichen Mammut und Riesenhirschen an einen Savannen ähnlichen Lebensraum angepasst, der reichlich Beute bot. „Es war wie eine Serengeti – aber in unserem Hinterhof“, so Mol.
Doch die identifizierten Homotherium-Arten waren längst nicht die einzigen Säbelzahnkatzen, die in den letzten 15 Millionen Jahren auf der Erde lebten – ganz im Gegenteil…
Stand: 07.08.2009