Evolution

Entladung in Nanosekunden

Gefährliche Nesselzellen

Kompassqualle (Chrysaora melanaster) © gemeinfrei

Die toxische Wirkung der Nesseltiere ist auf die Zellen zurückzuführen, denen sie ihren Namen verdanken: die Nesselzellen. Dabei handelt es sich um hoch spezialisierte Sinneszellen, die jeweils ein komplexes kleines Organ, die Nesselkapsel beherbergen, wissenschaftlich korrekt „Nematocyste“ oder „Cnide“ genannt.

Im Innern der zylindrisch geformten, circa zehn Mikrometer kleinen Nesselkapsel ist ein langer Schlauch aufgerollt. Das ist der Grundbauplan der Nesselkapsel – von ihm ausgehend hat die Natur sehr viele, zum Teil sehr komplexe Nesselkapseln gebildet, die alle zum Beutefang und zur Verteidigung dienen.

Einer der schnellsten Prozesse in der Biologie

Die Funktionsweise der Nesselzellen ist außerordentlich bemerkenswert. Wird eine Nesselzelle von außen mechanisch gereizt, etwa von einem Beutetier, entlädt sie sich innerhalb kürzester Frist: Der in der Kapsel aufgerollte Schlauch schießt wie eine Harpune heraus, durchdringt die Außenhaut des Opfers oder umwickelt dessen Körper.

Ausschleudern des Nesselfadens beim Süßwasserpolypen (Hydra) © gemeinfrei

Hochgeschwindigkeitsanalysen von Forschern um Professor Dr. Thomas W. Holstein vom Institut für Zoologie der Universität Heidelberg haben gezeigt, dass die gesamte Entladung selbst bei den komplexesten Kapseltypen in weniger als drei Millisekunden abgeschlossen ist; die kritische Phase der Entladung läuft sogar im Nanosekundenbereich ab. Dabei werden Beschleunigungen erzielt, die mehr als das 5.000.000fache der Erdbeschleunigung ausmachen – die Nesselkapselentladung zählt damit zu den schnellsten Prozessen in der Biologie.

Nesselzelle besitzt 200 Proteine

Auf molekularer Ebene kann die Entladung als Wechselspiel von hohem Druck und elastisch gespannter Kapselwand erklärt werden. Der hohe Druck resultiert aus der hohen Konzentration von Poly-Gamma-Glutamat (zwei Mol) und assoziierter Kationen (Innendruck mehr als 150 bar). Als wesentliche Strukturproteine der elastischen Kapselwand haben die Heidelberger Wissenschaftler in den letzten Jahren eine Familie ungewöhnlich kleiner Kollagene („Minikollagene“) sowie eine neue Proteinfamilie (NOWA) charakterisiert.

Wenn die Kapsel innerhalb eines „riesigen“ Bläschens, das Teil der zellulären Proteinsynthesemaschinerie ist, gebildet wird, liegen diese Proteine in löslicher Form vor und schließen sich zunächst zu einer vorläufigen Struktur zusammen, aus der anschließend durch eine Polymerisierungsreaktion die endgültige Kapsel hervorgeht. Das Proteom einer Nesselzelle, also die Gesamtheit aller in der Zelle vorhandenen Proteine, umfasst circa 200 Proteine, deren Struktur und Funktion derzeit in einem Heidelberger Proteom-Projekt identifiziert werden.

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Thomas W. Holstein / Forschungsmagazin „Ruperto Carola“ der Universität Heidelberg
Stand: 02.07.2009

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Sprungbrett der Evolution
Was Hohltiere vom Werden der Menschen verraten

Kein Blut, kein Hirn, kein Herz
Nesseltiere - Organismen der Superlative

Entladung in Nanosekunden
Gefährliche Nesselzellen

Uralte Wnt-Gene
Entwicklung der Nesseltiere auf der Spur

Nesseltiere und Wirbeltiere ähnlicher als gedacht
Vielfalt der Signalwege bereits im Erbgut der Cnidaria angelegt

Champions der Regeneration
Nesseltiere können verlorene Gliedmaßen und innere Organe neubilden

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