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Zum Zeitpunkt der Endosymbiose waren sowohl das α-Proteobakterium als auch das Cyanobakterium bereits im Besitz einer eigenen genetischen Information in Form von DNA, hatten sie doch bis zu diesem Zeitpunkt eigenständig existiert. Um diese beiden Bakterien erfolgreich im Inneren der Wirtszelle zu implantieren, war es vonnöten, sie in das dort bestehende zelluläre und biochemische Netzwerk zu integrieren.
Massive Veränderungen im Laufe der Evolution
Dies wiederum verlangte im Laufe der Evolution massive Veränderungen aller Partner. Eine dieser Veränderungen betraf die drei Genome, in denen die genetische Information zur Synthese der Proteine gespeichert ist. Um die Funktionsweise der Organellvorläufer von Mitochondrien und Chloroplasten – α-Proteobakterium und Cyanobakterium – zu synchronisieren, war es von evolutionärem Vorteil, ihre genetische Information im Wirtsgenom zu vereinen.
Ab diesem Zeitpunkt konnte die Umsetzung der genetischen Information unter einheitlicher Regulation stattfinden. Die Folge war jedoch, dass Proteine im Cytosol (der Zellflüssigkeit) synthetisiert werden mussten – also vor den Toren der Sauerstoff produzierenden Kraftwerke (Chloroplasten), in denen sie benötigt wurden.
Am Anfang war ein Nadelöhr…
Die cytosolische Synthese von Proteinen barg ein fundamentales Problem: Wie gelangen diese Proteine in den Chloroplasten? Bisher hatte deren äußere Membran vor allem die Funktion, „Eindringlinge“ von außen abzuweisen. Es musste also ein Eingang geschaffen werden, der die benötigten Proteine erkennen und über das Doppelmembransystem transportieren kann.
In der Evolution molekularer und zellulärer Systeme kommt es in solchen Situationen immer wieder dazu, dass bereits vorhandene Konzepte variiert werden. So auch hier: In der äußeren Membran des Cyanobakteriums gab es bereits ein Protein, das half, andere Proteine in die Membran einzubauen. Dieses Protein war also schon am richtigen Ort und in der Lage, andere Proteine zu erkennen. Außerdem besaß es, wie die meisten Proteine, die in der äußeren Membran von Bakterien eingelagert sind, eine Fassstruktur (im Fachjargon β-Barrel). Demzufolge musste zur Bildung eines Nadelöhrs oder Kanals in der Membran lediglich ein existierendes Protein in seiner Funktion „umprogrammiert“ werden. Woher weiß man das?
Nachfahren der Cyanobakterien und Symbionten
Zwar können wir heute nicht mehr die Entwicklung und Anpassung des Cyanobakteriums in der Urzelle nachvollziehen, aber es ist uns möglich, die Nachfahren der damals frei lebenden Cyanobakterien und der Symbionten zu vergleichen. Beliebte Modellsysteme, die wertvolle Hinweise auf die evolutionäre Entwicklung liefern, sind das Cyanobakterium Anabaena, die Pflanze A. thaliana (Ackerschmalwand) und die einzellige Alge Cyanophora. Die ersten beiden Modellsysteme sind Abbilder des möglichen Ausgangszustands und des Jetztzustands der endosymbiotischen Entwicklung.
Der Quastenflosser unter den Organellen
Besonders interessant ist der Chloroplast der Alge Cyanophora, der eine sehr hohe strukturelle Ähnlichkeit mit den Cyanobakterien aufweist. Man kann ihn als den Quastenflosser unter den Organellen bezeichnen. In allen drei Organismen, die evolutionär viele Millionen Jahre auseinanderliegen, konnte ein Kanalprotein mit den oben beschriebenen Eigenschaften gefunden werden. Diese Proteine sind untereinander sehr ähnlich in Funktion und Aufbau.
Dies lässt den Schluss zu, dass diese in allen pflanzlichen Zellen zu findenden Kanal-Proteine bakteriellen Ursprungs sind. Sie tragen den Namen „Toc“, eine Abkürzung für „Transportprotein in der äußeren Hülle von Chloroplasten – Translocase of the outer envelope membrane of chloroplasts“. Eine Zahl hinter dem Namen gibt das molekulare Gewicht der Proteine an. Toc75 ist, evolutionär gesehen, das Ur-Nadelöhr – das Ur-Toc – zum Kraftwerksgelände der Pflanzenzelle, dem Chloroplasten.
Enrico Schleiff / Forschung Frankfurt
Stand: 18.06.2009