Medizin

Was tun gegen die neue Influenza?

Grippemittel, Gendrift und die Impfstofffrage

Was kann getan werden gegen die neue Influenza? Noch sind die gängigen Mittel Tamiflu und Relenza wirksam, auch gegen die neue Schweinegrippe. Doch diese Waffen könnten schneller stumpf werden als uns lieb ist. Und einen Impfstoff giebt es noch nicht.

Grippeforscher im Labor © CDC

Virus-Blockade an nur einem Punkt

Die antiviralen Wirkstoffe Tamiflu und Relenza setzen jeweils nur an einem Oberflächenprotein des Influenzavirus an, der Neuraminidase. Sie hemmen dieses Enzym und verhindern damit, dass die in der Wirtszelle vermehrten Viren diese wieder verlassen können, um weitere Zellen zu infizieren. Der Nachteil: Eine Mutation dieses Proteins könnte die bisherige Ansatzstelle der Wirkstoffe verändern und sie so unwirksam machen.

„Wir haben bisher Glück, weil H1N1 gut auf die erhältlichen Wirkstoffe reagiert”, erklärt Robert Linhardt, Professor für Biokatalyse und Stoffwechsel am Rensselaer Polytechnic Institute. „Aber wenn das Virus grundlegend mutiert, könnten sich diese Medikamente als wirkungslos erweisen, da sie nur an einem Teil des Virus ansetzen.“

Linhardt und seine Kollegen haben nun einen neuen Wirkstoff konstruiert, mit dem das Influenzavirus gleich an zwei seiner Oberflächenproteine, der Neuraminidase und dem Hämagglutinin, angegriffen werden könnte. Das Hämagglutinin ist an der Bindung des Virus an die Oberfläche der befallenen Zelle beteiligt. Es öffnet damit der Influenza quasi die Tür in die Wirtszelle hinein.

Nahansicht eines Influenzavirus © CDC

Molekülkonstruktion am Computer

Entdeckt wurde die neue Substanz mithilfe der „Klick-Chemie“: In Computern können gezielt Moleküle manipuliert und Teile ihrer Struktur entfernt, ergänzt oder anderweitig modifiziert werden. Linhardt nutzte dies, um ein neues Derivat der Sialinsäure zu erzeugen, einem Bestandteil der Zelloberfläche, an das das Influenzavirus bindet, um letztlich in die Zelle einzudringen. Die veränderte Substanz gaukelt dem Virus eine vielversprechende Wirtszelle vor, provoziert eine Bindung mit dem Virus und blockiert damit dieses für weitere Bindungsversuche an den echten Zellen.

„Indem wir beide Teile des Virus angreifen, das Hämagglutinin und die Neuraminidase, können wir sowohl die Bindung des Virus an die infizierte Zelle verhindern als auch das Knospen neuer Viren aus den Wirtszellen“, so Linhardt. Noch ist das Präparat aber erst in den allerersten Laborversuchen erprobt worden. Tests an Zellkulturen und infizierten Tieren stehen noch aus.

Impfstoffe: Das Problem der Antigendrift

Was aber ist mit einem Impfstoff? Warum wirken die bisherigen weder gegen den einen noch gegen den anderen Influenza-Stamm? Die Ursache dafür liegt ebenfalls wieder in der extremen Vielfalt und Wandlungsfähigkeit des Virus. Denn alle seine Gene verändern sich weiterhin fortwährend durch kleinere Mutationen.

Diese so genannte Antigendrift sorgt dafür, dass sich beispielsweise die Hämagglutinine des „normalen“ saisonalen Influenza-Erregers gerade so viel verändern, dass ein Impfstoff, der gegen die Vorjahresversion entwickelt wurde, nun nicht mehr wirkt. Seine Andockstelle passt plötzlich nicht mehr zum umgestalteten Oberflächenprotein des Virus. Aus diesem Grund müssen in jedem Jahr, sobald die ersten neuen Viren auftreten, auch neue Impfstoffe erzeugt werden.

Wettlauf mit Hinkebein

Und aus dem gleichen Grund sind auch Menschen, die bereits einmal an der Grippe erkrankt sind, nicht automatisch gegen den mutierten Erreger immun. Auch die neue Schweinegrippe ist daher mit bestehenden Impfstoffen nicht zu schlagen. Noch aber reichen die Informationen über das neue Virus nicht ganz aus, um den aufwändigen Produktionsprozess für einen neuen Impfstoff in Gang zu setzen.

Zu unsicher ist man sich momentan, ob das Virus vielleicht während seiner Ausbreitung noch einmal mutiert und so möglicherweise ausgerechnet die wichtigen Ansatzstellen verändert. Dann könnte es nach einer Sommerpause im Herbst in neuer Form und noch gefährlicher widerkehren – und die auf dem jetzigen Gengerüst basierenden Impfstoffe wären nutzlos. Oder H1N1 trifft tatsächlich mit dem Vogelgrippevirus H5N1 zusammen und ein Reassortment erzeugt einen komplett neu zusammengewürfelten Erreger.

Noch zu viele offene Fragen

Noch bleiben daher viele Fragen offen: Wird das H1N1-Virus die bisherige saisonale Influenza ablösen? Gibt es dann in Zukunft jährlich eine neue Welle mit jeweils leicht anderer Oberflächenzusammensetzung? Oder wird es neue Rekombinationen mit der ebenfalls saisonal kursierenden H3-Variante geben? Wie groß ist die Gefahr eines Reassortments mit dem Vogelgrippevirus?

Diese Unwägbarkeiten sind es möglicherweise auch, die die WHO noch zögern lassen, die Pandemie-Warnstufe sechs auszurufen und das offizielle Startsignal für die Impfstoffproduktion zu geben. Die Maschinerie dafür ist bereit, doch noch steht alles auf Standby…

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Nadja Podbregar
Stand: 29.05.2009

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

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