Evolution

Leben ist Veränderung

Streit um die Definition der Art

Im Gegensatz zu höheren systematischen Kategorien wie Gattung, Familie oder Ordnung, die eher das menschliche Bedürfnis nach übersichtlichen Kategorien widerspiegeln, stellt die Art nach überwiegender Meinung eine fundamentale biologische Kategorie dar. Man sollte also meinen, dass unter Biologen Einigkeit darüber herrscht, was unter einer Art zu verstehen ist und wie man sie von anderen Arten abgrenzt.

Kurioserweise gibt es aber kaum einen Streit in der Geschichte der Biologie, der so lange und heftig tobt wie der um das „richtige“ Artkonzept. Selbst Darwin war sich offenbar der Schwierigkeiten eines universellen Artbegriffs bewusst, denn er drückte sich sogar in seinem Hauptwerk „Von der Entstehung der Arten“ um die Definition seines zentralen Untersuchungsgegenstandes.

Bei der in Europa verbreiteten und schon Darwin bekannten Flussmützenschnecke herrschte immer wieder Uneinigkeit über die Einteilung der Art. Zeitweise wurde sie als eine einzige, sehr formenreiche Sammelart Ancylus fluviatilis betrachtet, zeitweise aber auch als eine große Zahl unterschiedlicher Arten. Unsere molekulargenetischen Analysen zeigten, dass wir mindestens vier sehr distinkte Arten innerhalb Europas unterscheiden können, die seit Langem verwandtschaftlich getrennt sind. Die mützenförmige Schalenform ist in der Evolution verschiedener Schneckengruppen im Übrigen unabhängig mehrfach entstanden. © Mauro Mariani / gemeinfrei

Wie kommt es zu solchen Schwierigkeiten bei der Artabgrenzung? Ein Grund dafür ist, dass Arten – im Gegensatz zu übersichtlichen fundamentalen Einheiten wie Genen, Zellen oder Individuen – von einem menschlichen Beobachter praktisch nie als Ganzes zu erfassen sind. Denn eine Art besteht aus meist sehr vielen Individuen, die oft über große geografische Gebiete verteilt vorkommen und deren verbindende Eigenschaft nicht offensichtlich ist.

Räumlich und zeitlich variabel

Außerdem gehört zur Abgrenzung der Arten auch die zeitliche Dimension: Durch ökologische und evolutionäre Prozesse entstehen Arten, verändern sich und sterben aus. Und das in Zeiträumen, die normalerweise die Lebensspanne der menschlichen Beobachter um ein Vielfaches übersteigen. Es liegt demnach in der schon von Darwin erkannten Natur der Arten, dass sie keine unveränderlichen, jederzeit und überall klar erkennbaren kategorischen Einheiten sind, sondern räumlich und zeitlich variabel mit gegebenenfalls unscharfen Rändern.

Einen Evolutionsbiologen verwundert es also nicht, dass die Abgrenzung von Arten manchmal problematisch ist und nicht immer die klaren Antworten liefert, die von Ökologen, Taxonomen, Naturschützern und anderen gewünscht werden. Anderseits werfen oft genau diese umstrittenen Fälle ein Licht auf jene evolutionären Prozesse, die für die beobachtete biologische Vielfalt verantwortlich sind. Daher sind sie für Evolutionsbiologen wichtige Forschungsobjekte.

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Bruno Streit, Markus Pfenninger und Klaus Schwenk / Forschung Frankfurt
Stand: 27.03.2009

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Eine Erde voller Arten
Darwins Vermächtnis in der heutigen Evolutionsbiologie

Leben ist Veränderung
Streit um die Definition der Art

Anders als im Bestimmungsbuch
Arten halten sich nicht an traditionelle Einteilungen

Wie Strichcodes im Supermarkt...
Schnelle Artenerkennung durch DNA-Barcoding

Evolutionäre Reise durch Zeit und Raum
Wie Arten auf Klimaveränderungen reagieren

On the Origin of Species by Means of Natural Selection
Charles Darwin und die Evolutionstheorie

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