Der vielleicht berühmteste Autist überhaupt ist eine Fiktion: Raymond Babbit, der von Dustin Hoffman gespielte autistische Savant im Film „Rain Man“ aus dem Jahr 1988. Im Film erbt der in einer Klinik sitzende Autist Raymond drei Millionen Dollar von seinem verstorbenen Vater, sein in ständiger Geldnot steckender Bruder Charlie erhofft sich finanzielle Unterstützung und nimmt ihn mit auf eine Reise durch Kalifornien – ohne zu ahnen, worauf er sich einlässt. Erst nach und nach entdeckt Charlie sowohl die skurrilen Verhaltensauffälligkeiten, als auch die außergewöhnlichen Fähigkeiten seines Bruders.
Hoffmans sensible Darstellung des autistischen Savants machte erstmals eine breite Öffentlichkeit auf dieses Phänomen aufmerksam. Mehr als ein Jahr hatte sich der Schauspieler auf seine Rolle vorbereitet und dabei seine Erfahrungen mit verschiedenen realen Autisten und Savants verarbeitet. Das hauptsächliche Vorbild der Figur des „Rain Man“ ist allerdings keineswegs ein Autist, wohl aber ein Savant mit außergewöhnlichen Fähigkeiten: Kim Peek.
Kein Autist: der „Real Rain Man“
Denn längst nicht alle Savants sind Autisten, auch wenn rund einer von zehn Menschen mit Autismus eine – mehr oder weniger stark ausgeprägte – Inselbegabung besitzt. Stattdessen gehen die außergewöhnlichen Fähigkeiten bei rund 50 Prozent der Savants auf eine andere Entwicklungsstörung zurück. Bestes Beispiel ist der „Real Rain Man“ Peek.
Als Kim 1951 geboren wurde, sah es nicht gut aus für ihn: Sein Kopf war krankhaft vergrößert, in seinem Gehirn fehlte das beide Gehirnhälften verbindende Corpus callosum und auch das Kleinhirn war geschädigt. Doch neben den schweren Behinderungen, die diese Schäden auslösten, zeigten sich auch sehr bald ungewöhnliche Talente bei dem Jungen. Schon im Alter von eineinhalb Jahren konnte Kim jedes Buch detailgetreu im Gedächtnis behalten, das ihm vorgelesen wurde. Mit vier Jahren brachte er sich selbst das Lesen bei und hat seither mehr als 8.000 Bücher Wort für Wort im Kopf gespeichert. Dabei scannt er mit jedem Auge jeweils eine Seite und nimmt so das Gesehene nahezu gleichzeitig auf.
Raymond Babbit als Mischung
Trotz seiner außergewöhnlichen Gedächtnisleistungen ist Peek im Alltag allerdings auf die Hilfe seines Vaters angewiesen. Im Gegensatz zu vielen ausgeprägten Autisten scheint er den Austausch mit anderen Menschen jedoch geradezu zu genießen. Dustin Hoffman, der während der Vorbereitung auf den Film einen ganzen Tag mit Kim verbrachte, mischte in seiner Darstellung daher dessen Fähigkeiten mit den Verhaltenseigenheiten von Autisten und machte Raymond Babbit damit im Gegensatz zu Kim Peek zu einem autistischen Savant. Fran Peek erzählte dem Savant-Experten Darold Treffert, dass Kim nach dem Erscheinen des Films „Rain Man“ und der damit verbundenen öffentlichen Aufmerksamkeit auch für ihn, deutlich aufgeblüht sei. Er hält mittlerweile Reden selbst vor großem Publikum.
Unerschöpfliche Festplatte
Sein immenses Faktenwissen erstreckt sich auf so unterschiedliche Themen wie Sport, die Zip-Codes aller amerikanischen Städte, Filme und ihre Inhalte, die Bibel oder die gesammelten Werke von William Shakespeare. Er kann die meisten klassischen Musikstücke identifizieren und Zahlen faszinieren Peek ebenfalls seit seiner Kindheit, auch umfangreiche Berechnungen meistert er ohne Taschenrechner. So kann er innerhalb von Sekunden ausrechnen, an welchem Wochentag sein Gegenüber geboren wurde oder 65 Jahre alt wird.
„Kims Fähigkeiten als Gedächtnis-Schmied sind sehr einzigartig“, erklärt Darold Treffert, der sich bei mehreren Gelegenheiten mit Kim Peek und seinem Vater Fran Peek getroffen hat. „Die Kapazität seiner ‚Festplatte‘ scheint unerschöpflich.“ Wo aber liegt der Ursprung solcher Leistungsfähigkeit? Was verleiht Kim Peek und andere Savants ihre Fähigkeiten?
Nadja Podbregar
Stand: 12.12.2008