Eines der wichtigsten astronomischen, aber auch geographischen Hilfsmittel ist die Sonne. Sie markiert nicht nur den Tageslauf, an ihr lässt sich auch die Himmelsrichtung ablesen – eine Information, die ohne Kompass an der Natur kaum direkt zu ermitteln ist. Am Äquator ist die Bestimmung der Ost-West-Richtung simpel, da hier die Sonne das ganze Jahr über immer genau im Osten aufgeht und im Westen unter. In den mittleren Breiten jedoch, also auch in Europa, verändert sich die Position der Sonnenauf- und Untergangspunkte im Jahreslauf. Hier muss eine andere Methode herhalten: der indische Kreis.
Der Trick mit dem indischen Kreis
Diese erstmals in Indien schriftlich beschriebene Technik ist im Prinzip nichts anderes als eine Art Sonnenuhr, bei der ein senkrechter Stab in der Mitte eines in den Sand oder die Erde gezeichneten Kreises steckt. Der Durchmesser des Kreises ist so gewählt, dass der Schatten des Stabes morgens und abends über die Kreislinie hinausragt, mittags aber im Innenbereich bleibt. Zweimal am Tag, einmal am Vormittag und einmal am Nachmittag, berührt dann die Spitze des Schattens genau die Kreislinie. Werden nun diese beiden Schnittpunkte des Schattens mit Stöckchen markiert und beispielsweise durch eine Sehne oder eine Bastschnur verbunden, zeigt diese Linie genau die Ost-West-Richtung an.
Dass die meisten alten Kulturen und auch die jungsteinzeitlichen Ackerbauern diese Technik gekannt haben, zeigt die größtenteils gradgenaue Ausrichtung ihrer Gräber nach der Himmelsrichtung. In der späten Jungsteinzeit wurde dabei sogar nach Geschlechtern differenziert: Die Frauenskelette lagen auf der Seite mit dem Kopf nach Osten, die Männer mit dem Kopf nach Westen. Beide aber blickten mit dem Gesicht nach Süden.
Wenn die Sonne umkehrt
Viel wichtiger noch als die Himmelsrichtung war jedoch für die frühen Kulturen der Kalender, der Lauf der Jahreszeiten. Auch hier war es vor allem die Sonne, die die wichtigsten Eckdaten des kultischen, aber auch des landwirtschaftlichen Jahres bestimmte: die Sonnenwenden und Tagundnachtgleichen.
Die Wintersonnenwende, die auf den 21. oder 22. Dezember unserer Zeitrechnung fällt, ist auf der Nordhalbkugel der Erde der kürzeste Tag des Jahres. Er bedeutet damit gleichzeitig eine Umkehr, eine Wende hin zu mehr Licht und längeren Tagen. Umgekehrt ist die Sommersonnenwende am 21. Juni der längste Tag des Jahres und auch der Zeitpunkt, an dem die Sonne ihren höchsten Stand erreicht. Gleichzeitig aber kündigt dieser Tag bereits den Herbst an, das Zunehmen der Dunkelheit.
Newgrange: Lichtstrahl am Mittwintermorgen
Die kultischen Bauwerke und Grabmäler der späten Steinzeit spiegeln fast alle bereits diese beiden Wendepunkte im Jahr wider. So besitzt das 3.150 v. Chr. erbaute Ganggrab Newgrange in Irland eine innere Kammer, in die jedes Jahr nur an wenigen Tagen um die Wintersonnenwende herum bei Sonnenaufgang ein Sonnenstrahl fällt. Für rund 15 Minuten stehen dann Sonne, die Öffnung über dem Grabeingang, der 22 Meter lange Gang und die Grabkammer an seinem Ende genau in einer Linie. Ein Lichtfleck fällt direkt in die Grabkammer.
Welche Riten damals mit diesen Sonnenfleck verbunden waren, weiß heute niemand mehr. Naheliegend ist jedoch die Interpretation als Wiederkehr und Sieg der Sonne und damit des Lebens über die Dunkelheit. Der Fleck zeigte an, dass die dunkle Zeit vorbei war und die Tage wieder länger wurden. Heute erreicht der Mittwinter-Lichtfleck nicht mehr die hintere Platte der Grabkammer, sondern endet rund einen Meter davor. Denn in den gut 5.000 Jahren seit Errichtung des Grabmals hat sich die Erdachse leicht verschoben. Nichtsdestotrotz gilt das Hügelgrab von Newgrange heute als eine der ältesten Megalithanlagen mit einem klaren kalendarisch-astronomischen Bezug.
Das Wissen um die Sonnenwenden jedoch gab es auch schon lange vor dem Zeitalter der „großen Steine“ – wie sich vor wenigen Jahren herausstellte.
Stand: 01.02.2008