Phänomene

Wachstum gibt Rätsel auf

Warum vergrößert sich der Hippocampus?

Im Jahr 1998 zeigten schwedische und amerikanische Neurowissenschaftler, dass es auch im menschlichen Gehirn Neurogenese gibt. Und zwar im Hippocampus, also dem Areal, das die Forscher des Berliner Max-Planck-Instituts bei ihren Probanden mit der Kernspintomografie untersuchen. Fest steht: Diese Region sieht nicht bei jedem Menschen gleich aus.

Bei Taxifahrern ist der Hippocampus größer

So scannte Eleanor Maguire vom University College London 1999 die Gehirne von 16 Londoner Taxifahrern und stellte fest, dass deren Hippocampus vor allem im hinteren Teil deutlich größer war als bei Vergleichspersonen mit anderen Berufen.

Lövdén erstaunt das nicht: „Gerade für die räumliche Orientierung ist der Hippocampus eine ganz zentrale Region.“ Und Orientierungsvermögen ist unbedingt vonnöten, um im gigantischen Straßengewirr der englischen Hauptstadt den schnellsten Weg von A nach B zu finden.

Manche cab drivers pauken jahrelang den Stadtplan, bis sie die Prüfung für ihren Taxischein endlich schaffen. Und je mehr Berufsjahre, desto ausgeprägter die Vergrößerung des Hippocampus. Eleanor Maguires Schlussfolgerung: „Der Hippocampus hat seine Struktur verändert, um die riesige Menge an Navigationserfahrung aufzunehmen.“

Veränderungen durch permanentes Training

Kann sein, muss aber nicht, meint Lövdén. „Es wäre ebenso möglich, dass jemand ein sehr gutes Orientierungsvermögen besitzt und deshalb Taxifahrer wird, sein Gehirn aber schon vorher anders aussah.“ Lövdéns Einwand ist absichtlich ein bisschen provokativ, vorschnelle Schlussfolgerungen sind nicht sein Ding. Tatsächlich spricht jede Menge dafür, dass die Veränderungen durch das permanente Training angestoßen werden.

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Vergangenes Jahr scannte ein Team um Bogdan Draganski von der Universität Regensburg die Gehirne von Medizinstudenten vor der heißen Lernphase fürs Physikum und nach Abschluss der berüchtigten Zwischenprüfung, die es an Schwierigkeit mit dem Londoner Taxi-Examen aufnehmen kann. Resultat der monatelangen Büffelei war: ein vergrößerter Hippocampus.

NAA im Visier der Forscher

Doch für Sabine Schäfer hat die Studie ein Manko: „Man sieht zwar Wachstum, weiß aber nicht, woher es kommt.“ Sprießen zusätzliche Blutgefäße? Werden weitere Synapsen gebildet? Oder entstehen gar neue Neuronen? Um der Lösung des Rätsels näher zu kommen, wird das Team am Berliner Institut seine Probanden einer Magnetresonanzspektroskopie unterziehen. Mit diesem Verfahren lässt sich die Konzentration bestimmter Metaboliten ermitteln. Im Visier haben die Berliner Wissenschaftler ein Molekül namens N-Acetylaspartat Acid, kurz NAA.

„NAA ist ein Stoffwechselprodukt, das Hinweise auf die Dichte und Funktionalität der Nervenzellen gibt.“ Lövdén formuliert das etwas vage. Denn darüber, ob sich die Hirnzellen besser vernetzen oder ob sich neue Neuronen bilden, gibt auch das Metaboliten-Mapping mittels Magnetresonanzspektroskopie keinen Aufschluss.

Trotzdem: Wenn der Hippocampus durch das Orientierungstraining größer wird, ohne dass NAA ansteigt, steht mehr oder minder fest, dass dahinter keine neuronalen Prozesse stecken. „Klar erwarten wir, dass sich bei den Nervenzellen etwas verändert, doch für den Lerneffekt ist der Aufbau neuer Kapillaren wahrscheinlich genauso wichtig“, so Lövdén.

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Stand: 06.06.2007

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Inhalt des Dossiers

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