In den großen Experimenten am LHC werden sich 40 Millionen mal pro Sekunde zwei Pakete aus jeweils 100 Milliarden Protonen durchkreuzen. Erfüllt der Beschleuniger diese Anforderungen, so wird etwa einmal pro Minute ein nachweisbares Higgs-Teilchen erzeugt. So weit, so gut! Allerdings finden unter diesen Bedingungen etwa eine Milliarde – zumindest für die Higgs-Sucher – uninteressante Kollisionen pro Sekunde statt. Nun beginnt die Arbeit des ATLAS-Detektors und seiner Experimentatoren: wie selektiert man das eine, so genannte Higgs-Ereignis, in den 100 Milliarden Kollisionen oder wie findet man die ‚Higgs’-Nadel im ‚Untergrund’-Heuhaufen?
Wollte man im Takt von 25 Nanosekunden die Informationen der 140 Millionen Auslesezellen des ATLAS-Detektors auf Speichermedien schreiben, so wäre die anfallende Datenflut ungefähr eine Million Gigabyte pro Sekunde groß. Dies entspricht der Datenrate von 100 Milliarden Telefongesprächen. Eine solche Zahlenflut kann von keinem Computersystem der Welt gemeistert werden.
Filter leistet Hilfe
Ein dreistufiges intelligentes Filtersystem – der so genannte ‚Trigger’ des ATLAS-Experimentes – erkennt praktisch instantan, ob das Ereignis für die weitere Datenauswertung interessant ist. In weniger als zwei millionstel Sekunden trifft der Filter der ersten Stufe die Entscheidung und reduziert die Ereignisrate auf ein Niveau von 100.000 Ereignisse pro Sekunde, die durch die abschließenden beiden Filter bis auf eine speicherfähige Menge von 100 Ereignissen pro Sekunde verringert werden.
Trotz dieses rigorosen Selektionsprozesses, in dem 99.9995 Prozent aller Ereignisse bereits verworfen werden, liefert der LHC alleine durch ATLAS jedes Jahr eine Million Gigabyte Daten oder anschaulich eine CD pro Sekunde. Soweit der erste technische Schritt des Abtragens des Heuhaufens. Die eigentliche Gärtnerarbeit der Higgs-Truppe nimmt hier allerdings erst ihren Anfang.
Higgs-Ereignis schwer erkennbar
Markus Schumacher erläutert die Problematik: „Die Signal-Charakteristik des Higgs-Ereignisses unterscheidet sich von den anderen – auch einfach ‚Untergrund’ genannten – Ereignissen nur minimal. In den letzten Jahren hat sich unsere Gruppe hauptsächlich damit beschäftigt, optimale Methoden zu entwickeln, mit denen wir die ‚Spreu vom Weizen’ beziehungsweise den Untergrund von den Higgs-Ereignissen trennen können.“ Ziel ist es an Hand von Auswahlkriterien das ungünstige Verhältnis von Signal-zu-Untergrund von eins zu einigen Millionen nach dem Trigger auf ein Verhältnis im Bereich von eins zu eins anzureichern.
Da es noch keine Daten gibt, stellen die Physiker die erwartete Realität in aufwendigen und detailgetreuen Simulationen der erwarteten Physik und des Ansprechverhaltens des Detektors nach. Beliebte letzte Kenngröße für die Entscheidung, ob es sich um einen Kandidaten für ein Higgs-Ereignis handelt, ist die invariante Masse aller Zerfallsprodukte, die sich aus den gemessenen Richtungen und Energiedepositionen der Sekundärteilchen im ATLAS-Detektor berechnen lassen. Im erhofften Idealfall erhebt sich über einen flachen Untergrund ein Berg aus zusätzlichen Ereignissen, die dann dem Higgs-Teilchen zugeordnet werden. Von Entdeckung wird vereinbarungsgemäß gesprochen, wenn die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um einen Fehlalarm auf Grund von statistischen Fluktuationen handelt, nur 0,0000029 Prozent oder weniger beträgt.
Stand: 13.04.2007