14. November 1963. Das Schiff Isleifur II ist mehr als 30 Kilometer vor der Südküste Islands im Nordatlantik unterwegs. Unweit der Westmänner-Inseln suchen Kapitän Gudmar Tomasson und seine Männer schon seit einiger Zeit nach ergiebigen Fischschwärmen, die ihnen die Netze füllen und damit ein sicheres Einkommen bringen sollen.
Aber mit der Routine an Bord ist es kurz nach Sonnenaufgang ganz schnell vorbei, denn am Horizont entdecken die Fischer eine riesige schwarze Rauchwolke. Handelt es sich um ein in Brand geratenes Schiff? Vielleicht sogar einen Öltanker? Oder gibt es eine andere Ursache? Ein eilig abgesetzter Funkrundruf bringt erst einmal Entwarnung. Kein Schiff im Umkreis von einigen hundert Meilen hat SOS signalisiert und auch die Behörden besitzen keine Informationen über eine mögliche Havarie.
"Risse" im Meeresboden
Nachdem ein Unglück ausgeschlossen ist, finden die Fischer sofort eine andere logische Erklärung für die immer größer werdenden Rauchwolken: ein Vulkanausbruch. Solche Naturkatastrophen sind auf Island und auch in den umliegenden Gewässern keine Seltenheit. Denn die Insel ist die Spitze eines gewaltigen Gebirges unter Wasser, das sich an einigen Stellen bis zu viertausend Meter hoch aufgetürmt hat und vulkanischen Ursprungs ist.
Entstanden ist der viele tausend Kilometer lange so genannte Mittelatlantische Rücken durch die Plattentektonik. Hier an der geologischen Nahtstelle zwischen alter und neuer Welt wandern seit rund 200 Millionen Jahren Kontinentalplatten um mehrere Zentimeter pro Jahr auseinander. Die Amerikanische Platte nach Westen und die Eurasische Platte nach Osten.
Die Risse im Meeresboden, die an diesen auseinanderweichenden oder divergierenden Plattenrändern entstehen, werden durch aufsteigendes Magma gefüllt. Kontinuierlich steigt flüssiges Gestein nach oben, drückt die Platten auseinander und erkaltet schließlich: Neuer Meeresboden entsteht. Diese Produktion von Erdkruste verläuft in einer Kilometer breiten aktiven vulkanischen Zone im Ozean. Hier wurden auch Island und die Westmänner-Inseln geboren, die sich vermutlich durch andauernde untermeerische Eruptionen bis über die Meeresoberfläche emporhoben.
Eine wichtige Rolle bei der Entstehung von neuem Land im Meer spielen neben dem Vulkanismus an den divergierenden Plattenrändern auch so genannte Hot Spots. Dabei handelt es sich um lokal begrenzte Stellen, an denen heißes Magma aus dem Erdmantel bis in die Erdkruste aufsteigt und sich wie mit einem Schneidbrenner bis zur Meeresboden durchschmilzt.
„Frisches“ Land im Nordatlantik
Die Fischer um Tomasson wissen um die geologische Situation vor Ort und wollen nun ihrer Vermutung auf den Grund gehen. Je näher sie der Quelle des Rauchs kommen, desto mehr Indizien bestätigen ihre Theorie von einem untermeerischen Vulkanausbruch. Da ist zunächst der Geruch von Schwefel, der in der Luft hängt. Deutlich zu spüren ist aber auch ein ungewöhnliches Vibrieren, das durch Mark und Bein geht und ganz sicher nicht von einem Schiffsmotor oder durch den Wind verursacht wird.
Als die Fischer endlich nahe genug an den Ort des Geschehens herangekommen sind, ist der Fall endgültig klar. Die gewaltigen Rauchwolken bestehen aus Wasserdampf und vor allem schwarzer Asche – ein eindeutiger Hinweis auf einen massiven Vulkanausbruch am Meeresgrund. Die Crew der Isleifur II ist Zeuge, wie rund 18 Kilometer vor Heimaey, der größten der Westmännerinseln, „frisches“ Land entsteht.
Denn die Eruptionen nehmen im Laufe des Tages kein Ende und werden sogar immer stärker. Bald reichen die Rauchsäulen viele hundert Meter in den Himmel hinauf. Der Auswurf an Asche ist so enorm, dass innerhalb von 24 Stunden ein Vulkanhügel über der Meeresoberfläche erscheint, der unaufhörlich weiter wächst und schon bald zehn Meter hoch ist.
Doch das Überleben des neuen südlichsten Punktes Islands hängt noch am seidenen Faden. Denn Surtsey – wie die neue Insel schon bald nach dem Feuerriesen Surt aus der nordischen Mythologie genannt wird – droht ebenso schnell wieder von der Landkarte zu verschwinden wie sie erschienen ist.
Stand: 19.01.2007