„Versuch es nicht mit einem Adler,“ war der Rat, den Louise Crandal von Bekannten und Freunden erhielt, als sie einen lang gehegten Traum in die Wirklichkeit umsetzen wollte.
Seit Jahren hatte die dänische Journalistin und begeisterte Paragliderin schon die Idee im Kopf, zusammen mit Greifvögeln zu fliegen. Als sie der Vogeltrainer Scott Mason nach Nepal einlud, um ein erstes Training im Umgang mit Greifvögeln zu bekommen, hielt sie nichts mehr bei der Finanzzeitung in Kopenhagen, wo sie zu dieser Zeit arbeitete.
Erste Lektion in Nepal
Anstatt vier Wochen zu bleiben, wie geplant, verbrachte sie drei Monate in Nepal. Ihre ständige Begleiterin wurde eine Schwarzmilan-Dame, von der sich Crandal beim gemeinsamen Flug so viel abschaute, dass sich sogar ihre eigenen Flugkünste verbesserten, weil sie die Thermik besser beherrschte.
Zurück in Dänemark kam wieder die Idee mit dem Adler auf. Denn das war es, was Crandal bis dahin als unerfüllbaren Wunsch abgetan hatte. Trotz der Ratschläge legte sich Crandal einen jungen Steppenadler zu, der, wie sie sagt, zu Beginn aus purer Angst von ihrer Hand gefallen sei.
Cossack, der Steppenadler
Doch sechs Wochen, nachdem sie den Vogel aufgenommen hatte, flogen die beiden das erste Mal gemeinsam. Und Cossack, der Steppenadler, landete während des Paragliding-Fluges auf Crandals Hand. „Ohne ihn zu fliegen, macht mir mittlerweile keinen richtigen Spaß mehr,“ so Crandal. Wenn sie ihn an stürmischen Tagen alleine fliegen lasse, ohne dass sie mit aufsteigt, hätte auch er keine große Lust, lange allein draußen zu bleiben. „Er folgt mir überall hin, und wenn wir gemeinsam fliegen, ist er so vertrauensvoll und unabhängig, dass er von meiner Hand losfliegt und auf sie zurückkehrt, wie es ihm Spaß macht,“ so die Paragliderin über ihren Fluggefährten.
Spionkamera on board
Weil der Flug mit dem Adler so ungewöhnlich ist, sind auch britische Wissenschaftler aus Oxford auf Cossack aufmerksam geworden. Sie nutzen den Steppenadler mittlerweile als „Kameramann“. Die Forschergruppe hat winzige Kamera-Packs entwickelt, die dem Adler auf dem Rücken oder am Bauch befestigt werden, so dass sie den Kopf, die Flügel oder den Schwanz im Sucher haben.
Dabei werden beispielsweise Schwanzspreizung, Längsneigungswinkel und Querneigung des Vogels gemessen und sofort über einen Radiosender an eine Bodenstation übertragen. Auf diese Weise wollen die Wissenschaftler die Bewegungsabläufe des Adlers untersuchen und vor allem hinter die Steuerungsmechanismen beim Flug kommen.
„Bisher zeigen die Ergebnisse, dass Kopfbewegungen sehr wichtig für den Flug sind,“ so der Zoologe Graham Taylor. „Immer wenn der Vogel sich in eine Kurve legt, ruckt er mit dem Kopf in diese Richtung. Ich habe die Theorie, dass der Vogel in die Richtung schaut, in die er möchte, und der Körper ‚zieht’ quasi nach.“ Wie der Adler steuere, sei jedoch noch nicht klar.
Die Wissenschaftler hoffen, mit ihren Erkenntnissen Impulse zur Entwicklung neuartiger Designs für „intelligente“ Flugzeugtragflächen zu setzen, die beispielsweise je nach Flugphase ihre Form und Lage verändern können.
Stand: 15.12.2006