Zoologie

Biblischer Mord im Adlerhorst

Der Überlebenskampf der Schreiadler

Schreiadler © Edda Schlager

Obwohl Deutschland einen Adler im Wappen trägt, ist es um die meisten der hier heimischen Greifvögel schlecht bestellt. Der mit nur knapp zwei Kilogramm Gewicht und einer Flügelspanne von maximal 1,60 Meter kleinste „deutsche“ Adler, der Schrei- oder Pommernadler, besiedelte einst ganz Norddeutschland. Im Osten reicht sein Lebensraum bis nach Weißrussland und Georgien. Mittlerweile brütet er in Deutschland nur noch in Brandenburg und in Mecklenburg-Vorpommern.

Der Schreiadler benötigt ungestörte Wälder für die Aufzucht der Jungen und angrenzende Feuchtwiesen, um zu jagen. Intensive Land- und Forstwirtschaft habe jedoch dazu geführt, dass mittlerweile fast 90 Prozent des ursprünglichen Schreiadler-Lebensraumes verloren sind, so die Deutsche Wildtierstiftung, die dem kleinen Adler ein besonderes Schutzprogramm widmet.

Kain und Abel

Was den Schutz der Schreiadler zusätzlich erschwert, ist eine genetisch bedingte, schlechte „Angewohnheit“ der Jungadler. Schreiadler-Paare brüten stets zwei Eier aus. Die beiden Küken heißen bei Ornithologen Kain und Abel – nach dem biblischen Geschwisterpaar. Denn auch bei Schreiadlern tötet der Erstgeborene das jüngere Geschwisterkind.

Schreiadler-Nestling © M. Meergans, Dt. Wildtierstiftung

Der ältere Vogel drängt den jüngeren immer wieder ab, nimmt ihm das Futter weg und attackiert ihn, bis sogar Blut fließt. So geschwächt überlebt das zweite Adlerjunge meist nicht mehr als zwei oder drei Tage. Warum die Vögel dieses Verhalten vererben, ist nicht geklärt. Möglicherweise stellen sich die Schreiadler gerade evolutionär von der Zwei-Kind- auf eine Ein-Kind-Ehe um, weil sie lange an einen stabilen Lebensraum gewöhnt waren. So lautet eine Theorie der Experten. Vielleicht dient der zweite Vogel aber auch als Reserve, falls dem ersten Jungen etwas zustößt. Denn genetisch seien die beiden Jungvögel gleich.

Trick gegen genetische Sackgasse

Mittlerweile könnte dieses angeborene Verhalten den Schreiadlern jedoch zum Verhängnis werden. Denn ein Junges reicht nicht aus, um den angeknacksten Bestand zu erhalten. Nur um die einhundert Paare brüten jährlich in Deutschland, Tendenz fallend.

Um die kostbaren Jungvögel, die eigentlich dem Kainismus zum Opfer fallen würden, zu retten, haben das Landesumweltamt Brandenburg und die Deutsche Wildtierstiftung nun ein Experiment gewagt. Nach dem Schlüpfen wurde das Zweit-Küken aus einem Versuchsnest genommen, und erst dann wieder zu den Eltern gesetzt, als der Aggressionstrieb des dominanten „Kain“ erloschen war. Tatsächlich zogen die Eltern danach beide Jung-Adler auf. Wissenschaftler gehen davon aus, dass bereits drei bis vier zusätzliche Jungtiere pro Jahr die Population in Brandenburg stabilisieren würden.

Zu Fuß zum Futter

Anders als viele Artgenossen jagt der Schreiadler zu Fuß. Ähnlich wie ein Storch schreitet er dabei durchs Gras, um Frösche, Schlangen oder Kleinsäuger zu fangen.

Der Schreiadler ist ein Zugvogel, der bis ins südliche Afrika etwa 10.000 Kilometer zurücklegt. Etwa die Hälfte des Jahres sind die Schreiadler unterwegs.Die kleinen Schreiadler sind Thermiksegler, das heißt, sie gewinnen an Höhe durch aufsteigende warme Luft und segeln dann zur nächsten „Thermiksäule“ wieder hinab. Weil es über dem Meer keine ausreichende Thermik gibt, müssen die Adler bei ihrem Flug nach Afrika das Schwarze Meer und das Mittelmeer umfliegen. Die „Flaschenhälse“ der Landpassage am Bosporus, am Golf von Iskenderun und im Süden Israels am Roten Meer passiert die gesamte Population von etwa 37.000 Vögeln zweimal jährlich.

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Stand: 15.12.2006

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Inhalt des Dossiers

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