Anfang des 20. Jahrhunderts, als die Glazialmorphologie mit der Erforschung der Alpen einen Erkenntnis-Schub erfuhr und mehrere Eiszeiten als bewiesen galten, griff man auch die Lösstheorie von Richthofens wieder auf. Der Zusammenhang zwischen der Löss-Genese und dem Klima einer Eiszeit schien schlüssig.
Ohne Frost kein Löss?
Seitdem gilt Löss als äolisches, typisches periglaziales Sediment, das also durch Wind unter kaltzeitlichen Bedingungen entstanden ist: Gletscher und Frostverwitterung haben festes Gestein zermahlen. Nachdem sich das Material in Form von Moränen oder Schwemmfächern abgesetzt hatte, wurden die feinen staubfeinen Anteile ausgeblasen, da es noch keine zusammenhängende, den Boden stabilisierende Vegetationsdecke gab. An Berghängen oder in stärker bewachsenen Gebieten fiel die staubige Windfracht herab und bildete nach und nach größere Sedimentschichten.
Dass Löss auf diese Art und Weise entsteht, ist weitgehend akzeptiert. Doch neben diesem „kalten“ Löss, ist auch die Diskussion um „heißem“ oder „Wüstenlöss“ aufgekommen. Denn auch in Gegenden ohne eiszeitliche Vergangenheit wurden und werden Staubpartikel zu lössähnlichen Bodendecken angehäuft. Das Phänomen tritt an Wüstenrändern auf, beispielsweise in der israelischen Negev oder in Australien. Im Gegensatz zum „kalten“ Löss müsste der „Wüstenlöss“ durch mechanische Verwitterung in warmen Wüstengebieten entstehen.
Eine falsche Spur
Das Lössplateau in China galt lange als Beispiel für „heißen“ Löss. Die meisten Wissenschaftler gingen davon aus, dass der Staub, der aus der Wüste Gobi auf das Lössplateau geweht wurde, auch erst in der Wüste entstanden war. In der Tat ergaben zahlreiche Studien, dass sich Original-Wüstensand aus der Gobi in den Schichten des Plateaus wieder findet.
Doch Löss hat eine ganz charakteristische Eigenschaft: Etwa 80 Prozent der Partikel sind so genannter Silt mit einer Korngröße zwischen 0,01 und 0,06 Millimetern. Die restlichen 20 Prozent bestehen aus kleineren Ton- und größeren Sand-Körnchen. Und: 60 bis 70 Prozent der Körnchen sind in der Regel Quarz. Daneben finden sich Feldspäte, Glimmer und CaCO3 im Mineralbestand. Genau diese Kombination an Mineralien und Korngrößen kann aber auf keinen Fall bei der Verwitterung in der Wüste entstehen. Hitze, Sandschliff und Erosion zermahlen die Sandkörner in der Wüste viel stärker, bis auf eine Größe von unter 0,01 Millimetern.
Dennoch besteht ein Großteil des chinesischen Lössplateaus neben dem Wüstensand aus „echtem“ Löss. Woher also kam dieser Löss? Wo wurde er gebildet?
Transport mit Umwegen
Ian Smalley von der Internationalen Vereinigung für Quartärforschung INQUA hat die Herkunft der innerasiatischen Lössvorkommen geklärt. Er fand heraus, dass der Löss auf dem chinesischen Plateau aus den vergletscherten und tektonisch hoch aktiven Gebirgen Zentralasiens, aus Himalaja, Pamir oder Tien-Shan stammt. Gletscher und Flüsse haben das verwitterte Gestein in die Täler und bis weit hinaus in die Vorländer gespült und als Flusssediment abgelagert. Hier wurde das feine Material ausgeblasen, durch den Wind zum Teil mehrere Tausend Kilometer weit transportiert, an den Rändern der Steppen und Gebirge angehäuft und irgendwann durch den Wind erneut weitergetragen.
Die Wüste Gobi, die die Hauptquelle für das chinesische Lössplateau ist, ist also eigentlich nicht mehr als ein Zwischenlager für die Staubpartikel, die ursprünglich aus den vergletscherten Gebirgen stammen und somit „kalter“ Löss sind.
Ungeklärte Fragen
Das Rätsel um die Genese des „Wüstenlösses“ ist bis heute jedoch nicht vollständig gelöst. Fakt ist, dass er mehr Sand oder Ton und mehr Quarz enthält. Feldspäte oder Glimmer sind stärker verwittert. Wie eine solche Mischung in einem Wüsten-Umfeld zustande kommt und welche Winde ihn wie weit transportieren, ist unklar.
Die Frage, ob es sich nun um „kalten“ oder „heißen“ Löss handelt, ist für Paläogeographen jedoch deshalb entscheidend, weil die Herkunft der Staubkörnchen einen Einblick in ihre „Lebensgeschichte“ gibt. Und nur durch deren Kenntnis können auch die klimatischen Umstände zur Zeit der Sedimentation rekonstruiert werden.
Stand: 29.09.2006