Physik

Universum ohne Anfang?

Wie Singularitäten „verschwinden“

Der Ansatz der Schleifen-Quantengravitation ist bewusst konservativ: Er geht nur von experimentell gestützten Tatsachen aus, benötigt keine Zusatzannahmen und analysiert die Konsequenzen der Prinzipien von Allgemeiner Relativitätstheorie und Quantentheorie in ihrem Zusammenspiel. Zielend auf rigorose mathematische Konsistenz, treibt man die Theorie bis an ihre logischen Grenzen. Auf diese Weise ist garantiert, dass man entweder die richtige Theorie konstruiert oder im Zuge der Analyse systematisch herausfindet, welche neuen Strukturen benötigt werden, anstatt diese raten zu müssen.

Ein solches Gedankengebäude, das vielleicht wie eine hochintelligente Spielerei aussehen mag, wird von uns daran gemessen, ob es gegenüber den existierenden Theorien Fortschritte bei der Beschreibung der Natur bringt. Und genau das leistet die Looptheorie: Sie kommt – wie bereits erwähnt – mit unseren vier Dimensionen aus.

Singularitäten „passen“ nicht

Und sie schafft es außerdem, ein Manko der Allgemeinen Relativitätstheorie zu vermeiden: Wenn man deren Gleichungen konsequent anwendet, gibt es physikalisch groteske Situationen, die so genannten Raumzeit-Singularitäten. Das sind Raumpunkte, an denen die Krümmung und damit die Konzentration der Materie unendlich groß ist. Schwarze Löcher sind solche Singularitäten, aber auch der Urknall.

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Die Quantelung des Raums hilft derartige Singularitäten zu vermeiden, analog dem folgenden Beispiel aus der Atomphysik: Nach der klassischen Maxwell-Theorie des Elektromagnetismus dürften Atome gar nicht existieren. Denn Elektronen, die sich auf einer Kreisbahn bewegen, senden normalerweise Bremsstrahlung aus und verlieren dadurch Energie. Jedes Elektron, das den Atomkern umkreist, würde also nach kurzer Zeit in den Kern fallen: Die Atome wären instabil, und wir würden regelrecht verbrennen.

Die Quantentheorie erklärt, warum dies nicht geschieht, denn hier sind die erlaubten Energieniveaus im Atom diskret, also gequantelt. Man kann das auch experimentell an den Atomspektren ablesen: Dort finden sich keine Linien der Bremsstrahlung, weil das Atom keine aussendet – die klassische Singularität verschwindet.

Urknall kommt nicht mehr vor

Ähnliches erreichen wir mit der Quantisierung der Raumzeit: Martin Bojowald von der US-amerikanischen Pennsylvania State University hat die Arbeiten Thiemanns über die Dynamik in der Schleifen-Quantengravitation auf ein Modell der Quantenkosmologie spezialisiert und herausgefunden, dass die von der Allgemeinen Relativitätstheorie als Urknall vorhergesagte Singularität in der Looptheorie nicht mehr vorkommt – ganz analog zum Beispiel des Atoms mit diskreten Energieniveaus.

Urknall © NASA

Dies ist zwar kein Beweis, dass in der gesamten Theorie der Schleifen-Quantengravitation keine Singularitäten auftreten, wohl aber ein erstes Indiz. An die Stelle der Singularitäten treten stattdessen Werte, die vielleicht groß werden, aber endlich bleiben. Rechnet man etwa die größte mögliche Krümmung aus, ergibt sich ein Wert der Größenordnung eins durch das Quadrat der Planck-Länge, also 10 hoch 66 cm-2.

Universum: Winzig aber nicht Null

Was heißt das nun für den Urknall? Es ist zwar noch nicht völlig verstanden, aber es bedeutet eventuell, dass das Universum gar keine Anfangssingularität hatte. Mit anderen Worten: Das Universum hat es immer gegeben, es nahm nicht irgendwann einen Anfang. Zu einem bestimmten Zeitpunkt hatte es vielleicht eine minimale Größe, aber davor war es vielleicht auch so groß wie heute.

Dass es einen Urknall gab, bestreitet die Looptheorie keineswegs. Damals war wohl das gesamte Universum in ein extrem winziges Volumen gepackt – allerdings nicht auf den Punkt Null. Philosophisch betrachtet macht das einen großen Unterschied, ob man davon ausgehen muss, dass irgendwann alles einen Anfang hatte, oder ob es die Zeit immer schon gab. Die Schleifen-Quantengravitation hat jetzt auch eine mathematische Grundlage dafür gelegt, dass man vor den Urknall zurückrechnen könnte. In dieser Klarheit gab es das vorher nicht.

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Stand: 16.06.2006

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Universum aus brodelnden Schleifen
Erklärt die Looptheorie die Welt?

Raum wie Frotteestoff
Schleifen brauchen nur vier Dimensionen

Die Legosteine der Looptheorie
Grundstruktur des Raumes als Netzwerk

Rätselkraft Gravitation
Geometrie braucht keine starre Raumzeit

Schleifengebrodel
Klassische Physik hilft bei der Modellierung

Universum ohne Anfang?
Wie Singularitäten „verschwinden“

Der unendlich lange Sturz ins Schwarze Loch
Wie erklärt die Looptheorie diese Singularität?

Kosmische Ausbrüche als Messlatte
Wie lässt sich die Theorie experimentell belegen?

Hoffen auf "Planck"
Neuer Satellit könnte Beweise liefern

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