Was auch der Weltatlas der Sprachstrukturen nicht verhindern kann: in den nächsten 100 Jahren werden etwa 50 Prozent der derzeit bestehenden Sprachen verschwinden,. Pessimistische Schätzungen gehen sogar von bis zu 90 Prozent aus. Doch das ist keine neue Entwicklung. So nutzten vor circa 15.000 Jahren die damals lebenden zehn Millionen Menschen noch etwa 10.000 Sprachen. Sprachen sind demnach auch bisher schon in großer Zahl verschwunden.
Abgeschottete Schotten
Doch wie kommt es dazu? Seit einigen Jahren beschäftigen sich Wissenschaftler zunehmend mit dem so genannten „Sprachentod“, genau rekonstruiert wurden jedoch nur wenige Fälle. Die US-amerikanische Linguistin Nancy Dorian hat beispielsweise über 40 Jahre lang das Aussterben des East-Sutherland-Dialekts, einer Form des schottischen Gälisch, beobachtet und dokumentiert.
In East Sutherland, einer Grafschaft in den schottischen Highlands im Norden Großbritanniens, sprachen bis ins 18. Jahrhundert nahezu alle Menschen den gälischen Dialekt. Er unterschied sich stark vom „normalen“ schottischen Gälisch, so dass nicht ganz klar ist, ob es sich nicht sogar um eine eigene Sprache handelte.
Engländer für die Schafzucht
Als die Nachfrage nach Wolle und Lammfleisch wuchs, entschloss sich Lady Sutherland, die regierende Herzogin,, ihr Land nicht mehr an die armen Bauern der Umgebung zu verpachten, sondern als Weideland zu nutzen. Die Bauern wurden vertrieben, englischsprachige Leute aus den Lowlands als Schafzüchter eingestellt.
Diese Politik verdrängte die Sutherland-Muttersprachler nicht nur räumlich, sie verarmten auch und gerieten an den Rand der Gesellschaft. Ihre Sprache galt als verpönt. Der Gutsverwalter Lady Sutherlands äußerte sich sogar angewidert über das hartnäckige Festhalten der ehemaligen Pächter „an dem barbarischen Kauderwelsch jener Tage, als Europa noch in der Hand von Wilden war“.
Fehlende Schriftform
Im 19. Jahrhundert wurde der East-Sutherland-Dialekt dann immer mehr vom Englischen verdrängt, die Leute wuchsen zunehmend zweisprachig auf. Im 20. Jahrhundert entwickelte sich das Englische endgültig zur Muttersprache auch dieser in den abgelegenen Highlands lebenden Schotten. Selbst Großeltern konnten ihren Enkeln gerade noch ein paar Worte des ursprünglichen Dialekts vermitteln, jedoch nicht mehr die gesprochene Sprache.
Da auch keine Schriftform existierte – lediglich Transkriptionen durch Linguisten wie Nancy Dorian – ging der East-Sutherland-Dialekt am Ende nach über 250 Jahren Überlebenskampf verloren.
Heute sterben Sprachen dagegen in vergleichsweise rasantem Tempo. Sprachwissenschaftler wie die Kieler Linguistin Ulrike Mosel sprechen gar von einer „Katastrophe“, denn mit einer Sprachen gehen auch immer Kultur, Traditionen, Werte verloren. Besonders bedroht sind naturgemäß kleine Sprachen, die manchmal nur von wenigen hundert Menschen gesprochen werden.
Südseeparadies ist „Sprachenfriedhof“
Einer der größten „Sprachenfriedhöfe“ scheint die Insel Neuguinea zu sein. Sie ist nur knapp zweimal so groß wie Deutschland und wird von etwa fünf Millionen Menschen bewohnt. Doch die Zahl der dort beheimateten Sprachen wird auf knapp 1.000 geschätzt. Zum Vergleich: in Europa und Vorderasien zusammen gibt es nur etwa 250 Sprachen.
Die Insel ist geteilt in das östliche gelegene Papua-Neuguinea und die im westlichen Teil gelegene indonesische Provinz Irian Jaya. Weil die Insel sehr bergig und von zahlreichen Tälern durchzogen ist, von denen viele kaum zugänglich sind, waren die in kleinen abgegrenzten Bergregionen lebenden Ureinwohner Neuguineas über Jahrhunderte stark voneinander abgeschottet. Fast jede Dorfgemeinschaft entwickelte so eigene Dialekte und Sprachen.
´Dominantes Pidgin
Seitdem auch auf Neuguinea moderne Kommunikationsmittel wie Telefone, Satellitenschüsseln, oder Computer Einzug gehalten haben, sind nun andere Sprachqualitäten gefragt. Junge Leute wenden sich zunehmend von der Sprache ihrer Eltern und Großeltern ab. Als gemeinsame Sprache hat sich so das „Tok Pisin“ herausgebildet, abgeleitet vom englischen „talk pidgin“. Das entstand auf den Plantagen Melanesiens als Pidgin-Sprache, also eine auf das notwendigste reduzierte neue Sprache, die Bestandteile anderer Sprachen zusammenführt. Von dort verbreitete es sich im südpazifischen Raum und wurde zu einem anerkannten Kommunikationsmittel.
Wissenschaftler gehen davon aus, dass durch die Dominanz des „Tok Pisin“ auf der Insel Neuguinea derzeit mehrere hundert Sprachen bedroht sind.
Stand: 08.01.2010