Hunger, Armut, zu viele Pestizide und Überdüngung in der Landwirtschaft, fehlende Lehrer und Schulen: Dies sind nur einige der Probleme, mit denen Indien auch aufgrund der Überbevölkerung schon heute zu kämpfen hat. Hinzu kommt die „dicke Luft“ durch eine ständig steigende Zahl an Pkws – vor allem die Großstädte ersticken im Verkehr – oder veraltete Kraftwerke.
Viel im Argen liegt auch beim indischen Gesundheitssystem. Dem unterfinanzierten öffentlichen Bereich fehlt es an Ärzten und Medikamenten, der private Bereich ist für die meisten Kranken kaum zu finanzieren. Wie die Weltbank in einer Studie festgestellt hat, reicht daher bei einem Viertel aller Haushalte im indischen Bundesstaat Maharashtra schon ein Krankheitsfall aus, um die jeweilige Familie in den Ruin zu treiben.
Politiker verbreiten Optimismus
Wenn Indiens Bevölkerung künftig jährlich um 17 Millionen weiter wächst, wird sich die Situation nach Ansicht von Experten in vielen Bereichen noch dramatisch verschärfen. Denn diese Menschen brauchen Ressourcen wie Land, Nahrung, Energie oder Wasser, die auf dem Subkontinent ohnehin knapp sind.
Sie benötigen aber auch Arbeit, um überleben zu können. Aktuellen Berechnungen von Wissenschaftlern zufolge müssen aufgrund des Bevölkerungswachstums in Zukunft pro Jahr bis zu sieben Millionen Jobs zusätzlich entstehen, um den Bedarf einigermaßen zu decken.
Das Land braucht zudem 16.000 Primarschulen und 400.000 Lehrer jährlich extra, um zumindest eine Grundbildung der Babyboom-Kinder sicher zu stellen. Ein realistisches Szenario dank Wirtschaftswunder und wachsenden Auslandinvestitionen? Für indische Politiker offenbar schon.
„Natürlich haben wir Probleme in unserem Land. Aber die Probleme sind längst nicht so groß, wie manche behaupten“, sagte beispielsweise der indische Planungsminister Montek Singh Ahluwalia 2006 im Spiegel. Und weiter: „Sie werden sehen: Langfristig werden von dem Wachstum in Indien alle ihren Nutzen haben.“
Massenselbstmorde als Hilferuf
Für manche jedoch könnte es dann längst zu spät sein. So wie für viele Bauern im zentralindischen Baumwollgürtel, die schon jetzt aufgrund des Preisverfalls bei dem Naturprodukt immer stärker mit Überschuldung, Hunger und Sorge um das Wohl der Familie zu kämpfen haben. Die Folge: Die Selbstmordrate steigt enorm.
Allein in den Bundesstaaten Maharashtra, Kerala, Karantaka und Andrah Pradesh soll es in den letzten Jahren nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen 18.000 solcher Fälle gegeben haben.
Sozialer Bereich als Achillesferse
Für viele Experten ist es deshalb mehr als fragwürdig, allein auf das Prinzip Hoffnung und das aktuelle Wirtschaftswunder zu setzen, um mit dem rasanten Bevölkerungswachstum klar zu kommen. Der Wissenschaftler Christian Wagner kommt in einem Beitrag für „GIGA Focus“ des German Institute of Global and Area Studies (GIGA) zu dem Schluss: „Die Achillesferse der indischen Demokratie ist bis heute ihre mangelnde Leistungsfähigkeit im sozialen Bereich, vor allem bei der Bereitstellung öffentlicher Güter.“
Angesichts der herrschenden Rahmenbedingungen, so Wagner weiter, werde das rasante Wirtschaftswachstum die sozialen Probleme kaum von selbst lösen – vor allem dann, wenn jährlich Millionen von Menschen hinzu kommen.
Stand: 11.07.2008