Zur Zeit der Seidenstraße gehörte der Pamir zu den großen Hindernissen, die auf dem Weg von Europa nach Asien und zurück überwunden werden mussten. Bis zu 7.000 Meter hoch sind die Berge, die sich über das Ländereck China, Afghanistan, Pakistan und Tadschikistan erstrecken und als das „Dach der Welt“ bezeichnet werden.
Heute gelangen erneut enorme Warenströme über den Pamir nach Westen – riesige Mengen chinesischer Kleidung, Lebensmittel oder Elektrogeräte. Tonnenweise kommen sie auf Dutzenden Lkws von China nach Tadschikistan und werden von hier weiter geschafft, nach Kirgistan, Usbekistan, Afghanistan oder Iran..
Autobahn im „Armenhaus“
An einer Straße, die den Transport innerhalb von China und nach Tadschikistan erleichtern soll, wird zur Zeit gebaut. Die Einwohner von Murghab, einem Wüstenplateau nahe der chinesischen Grenze ganz im Osten des Pamir, rechnen schon jetzt damit, dass ihre Region zur „Einflugschneise“ der Chinesen werden wird.
Doch bisher haben die Menschen in Murghab andere Sorgen als die billige chinesische Massenware, die den heimischen Basar überschwemmt. Teure Markenprodukte kann sich hier sowieso kaum jemand leisten, denn Murghab gehört zu den ärmsten Regionen Tadschikistans.
Mit wenigen Niederschlägen, hauptsächlich als Schnee, und extrem kalten Temperaturen im Winter und nicht mehr als 25 Grad im Sommer herrscht in Murghab Wüstenklima. Ackerbau ist hier praktisch nicht möglich, lediglich die extensive Weidehaltung von Vieh. Wasser gibt es nur vom Brunnen auf der Straße, das Wasserkraftwerk in der Nähe liefert lediglich sporadisch Strom.
Karge Landschaft
Eigentlich ist Murghab eine Landschaft, in dem Menschen ohne Hilfe von außen kaum überleben können. So hielt es auch jahrelang die Sowjetunion, die Murghab besiedelte, weil dies eine wichtige Grenzregion zu China und Afghanistan war. „Neusiedler“ wurden mit Löhnen hergelockt, die drei mal so hoch waren, wie im Rest des Landes, Kohle, Gas, Diesel und Lebensmittel wurden geliefert und zu günstigeren Preisen verkauft als anderswo. Nur durch Subventionen blieb Murghab am Leben.
Als die Sowjetunion zusammenbrach und Tadschikistan unabhängig wurde, änderte sich schlagartig alles. Kohle-, Diesel-, Stromlieferungen blieben plötzlich aus. Die Menschen waren plötzlich auf sich allein gestellt. Der tadschikische Bürgerkrieg von 1992 bis 1997, während dessen viele Flüchtlinge nach Murghab kamen, verschärfte die Situation noch.
Raubbau zum Überleben
Um ihre Lehmhäuser zu heizen, begannen die Bewohner Teresken-Sträucher als Brennstoff zu verwenden. Teresken, das ist ein über Jahrzehnte langsam wachsender Wüstenstrauch – das einzige Holz, was in der Gegend überhaupt wächst.
Jeden Tag stehen in Murghab auf dem Basar Männer mit Schubkarren, auf denen Teresken-Bündel zum Verkauf angeboten werden. Sie haben ganze Sträucher ausgegraben – denn die Wurzeln haben die meiste Brennsubstanz. Zwölf Somoni kostet ein Bündel, etwa zwei Euro. „Das ist teuer,“ sagt Saitbek, ein Interessent. „Ich bekomme als Rentner 60 Somoni im Monat, wie soll ich mir das leisten?“
Doch das Problem in Murghab sind nicht nur die geringen Einkommen. Die Teresken-Verkäufer haben ihre Ware von weit her geholt. So wie Ajoibchon. Er rollt gerade mit einem Lkw, voll beladen mit Teresken, auf den Basar. „Wir mussten 140 Kilometer weit fahren, um noch Teresken zu finden.“
Jumabai Nazarbekov, ein tadschikischer Kirgise, sieht den Teresken-Verkauf mit gemischten Gefühlen. „Ich hätte das auch machen können, mir einen Lkw kaufen, losfahren und Teresken verkaufen. Aber genau das wollte ich nicht, wir zerstören uns ja selbst unsere Lebensgrundlage!“ Nazarbekov ist auch auf Teresken angewiesen, aber ganz anders als die Verkäufer.
Zurück zu alten Traditionen?
Der 53jährige hält etwa 200 Yaks und ist zur nomadischen Viehhaltung zurückgekehrt, die selbst sein Großvater schon nicht mehr ausübte. In dieser Gegend ist dies aber die einzige Möglichkeit, überhaupt Vieh zu halten. Denn das Land gibt so wenig Futter her, dass die Weidegründe ständig gewechselt werden müssen. Nazarbekovs Yaks fressen Gras – und Teresken.
Nazarbekov würde es deshalb nie einfallen, den kostbaren Wüstenstrauch zu verbrennen. Er hat eine Alternative: Er sammelt den Dung seiner Yak-Herde, trocknet ihn und hat so in einem Jahr mehr Brennstoff, als er selbst verbrauchen kann.
Doch der Kirgise weiß, dass viele seiner Nachbarn keine Alternative haben. Der tadschikische Staat müsse seiner Meinung nach dafür sorgen, dass die Menschen hier mit Heizmaterial versorgt werden und eine dauerhafte Lebensgrundlage haben. „Wenn wir so weiter machen wie jetzt, wird es in fünf Jahren keinen Teresken mehr geben.“
Stand: 04.04.2008