Im kleinen Königreich Bhutan im Himalaya gibt es mehr als 2.000 Seen, die seit einiger Zeit durch das Schmelzwasser der abtauenden Gletscher und riesigen Schneefelder prall gefüllt sind. Schon dies allein bietet Grund genug zur Sorge, doch österreichische Wissenschaftler haben im Jahr 2006 noch aus einem anderen Grund Alarm geschlagen. Denn die Geologen um Professor Hermann Häusler und Michael Meyer von den Universitäten Wien und Innsbruck haben einen Faktor dingfest gemacht, der Seeausbrüche zusätzlich begünstigen könnte: Erdbeben.
Katastrophale Kettenreaktion
„Unsere Geländearbeit im Pho Tal und die Untersuchungen von Sattelitenbildern zeigen deutlich, dass Erdbeben der Magnitude sechs in Nord Bhutan möglich sind“, sagt Meyer und sein Kollege Gerhard Wiesmayr ergänzt. „Wir beobachten von jungen Erdbeben erzeugte Geländeverformungen und gewaltige Hangrutschungen, wobei die Epizentren dieser Beben direkt unter den Gletscherseen zu liegen kommen.“
Aber dies ist noch nicht alles. Denn Meyer fürchtet sogar eine Katastrophe ungeahnten Ausmaßes: „Entgegen der Situation im Jahre 1997, wo Gletscherseen nur vereinzelt ausgebildet waren, sind nun zahlreiche neue hinzugekommen, und alle Seen sind perlschnurartig hintereinander angeordnet. Unsere Befürchtung ist, dass bei einem starken Beben mehrere dieser Seen gleichzeitig ausbrechen oder eine initiale Flutwelle andere Gletscherseen mit sich mitreißen könnte“.
Tödliches Gemisch aus Schlamm und Wasser
Das Problem: Für bhutanische Verhältnisse ist das Pho-Tal relativ dicht besiedelt. Eine Flutwelle könnte hier zu dramatischen Sachschäden führen und viele Tausend Menschenleben fordern. Einen Vorgeschmack auf ein solches Inferno gab es bereits vor einigen Jahren. Genauer gesagt am 7. Oktober 1994. Damals brach einer der vielen Gletscherseen in der Nähe aus und ein brisanter Mix aus zwei Millionen Kubikmetern Schlamm und Wasser donnerte zu Tal. Bilanz der Katastrophe: 24 Tote, zahlreiche zerstörte Häuser, unzählige ertrunkene Yaks und verwüstete Acker- und Weideflächen.
Um zu verhindern, dass sich ein solches Schreckensszenario wiederholt, haben die österreichischen Forscher einiges an Arbeit investiert. „Die erarbeiteten Gefahrzonenpläne und Vorschläge für Frühwarnsysteme müssen von der bhutanesischen Regierung sehr ernst genommen und umgesetzt werden. Eine genaue Untersuchung der Wiederkehrrate schwerer Erdbeben in Nord Bhutan sind für das Land nun von zentraler Bedeutung“, betont Häusler. Ob die Pläne der österreichischen Forscher tatsächlich umgesetzt werden, ist jedoch noch unklar. Denn die vorgesehenen Maßnahmen sind teuer und Bhutan gehört zu den ärmsten Ländern der Welt.
Stand: 30.03.2007