Schlechter hätten die Chancen für ein neues Universalgenie nicht stehen können. 1711 im Dörfchen Denisowka, im äußersten Nordwesten des zaristischen Russlands in der Nähe von Archangelsk als Sohn eines Fischers, Bauern und Leibeigenen geboren, sieht die Zukunft für Michail Wassiliewitsch Lomonossow zunächst nicht nach einer Karriere als Wissenschaftler von Weltrang aus.
Kindheit im hohen Norden
Michail wächst in einfachen Verhältnissen auf. Seine Kindheit ist vor allem durch die unermüdliche Arbeit des Vaters als Bauer auf den Feldern an den Ufern der Dwina und als Fischer auf dem Weißen Meer und dem Nordpolarmeer geprägt. Die Mutter stirbt schon in den ersten Lebensjahren des Jungen. Der Vater nimmt sich eine zweite Frau, die jedoch durch „Bosheit und Neid“, wie sich Lomonossow später erinnert, für steten Unfrieden im Hause sorgt.
Als Michail zehn Jahre alt ist, nimmt ihn sein Vater erstmals mit aufs Nordpolarmeer. Hier soll der Junge das Einmaleins des Fischerhandwerks lernen. Doch die vier Wochen, in denen Vater und Sohn der Gewalt des Meeres ausgesetzt sind, werden für den Jungen vor allem deshalb zum unvergesslichen Erlebnis, weil er von der wilden Natur des Nordens fasziniert ist.
Michail kehrt von der Reise mit einem Wissenshunger zurück, den seine Umgebung zu Hause kaum stillen kann. Was ist das Nordlicht? Wie entsteht Packeis? Wie die Gezeiten? Der Vater kann ihm da nicht weiterhelfen. Michail kann zudem noch immer nicht lesen und schreiben, und Bücher sind für den Jungen so gut wie unerreichbar.
Unstillbarer Wissensdurst
Sein erster Lehrer wird ein Bauer im heimatlichen Dorf, der ihm eine schnelle Auffassungsgabe und unermüdlichen Lerneifer bescheinigt. Schnell wird Michail zum besten Vorleser in der Kirche.
Im Hause des befreundeten Nachbarn Kristofor Dudin schließlich stößt Michail auf zwei Bücher, die sein lebenslanges wissenschaftliches Interesse prägen sollen: Die „Arithmetik“ von Leonti Magnitzki aus dem Jahre 1703, das erste Mathematik-Lehrbuch überhaupt, das in Russland und auf Russisch erschienen war, und Meleti Smotritzkis „Grammatik“ aus dem Jahre 1619. Sie gilt als eines der philologischen Grundlagenwerke der russischen Sprache.
Der junge Lomonossow versteht die Bücher zwar kaum, aber er lernt sie auswendig. Doch dadurch entstehen nur noch weitere Fragen, die ihm im heimatlichen Ort niemand beantworten kann. Michail weiß, dass es mehr Bücher in Moskau, Petersburg und Kiew gibt, und dass er, um sie zu verstehen, Latein und Griechisch lernen muss.
Heimliche Flucht nach Moskau
Sein Wissensdurst und seine Ungeduld werden schließlich so groß, dass er, trotz der Gefahr, als Leibeigener entdeckt zu werden, trotz der scheinbaren Unmöglichkeit, als armer Fischersohn jemals an einer höheren Schule aufgenommen zu werden, heimlich von zu Hause weg läuft. Im Dezember des Jahres 1730 schließt er sich mit 19 Jahren ein paar Fischhändlern an, die ihn mit in das tausend Kilometer entfernte Moskau nehmen. Dort angekommen kann einer der Kaufleute einen Mönch des Zaikonospasski-Klosters überreden, den Jungen als Schüler aufzunehmen.
Ans Kloster angeschlossen ist die beste Hochschule Moskaus, die Slawisch-Griechisch-Lateinische Akademie. Lomonossow muss mit der ersten Klasse beginnen. „Die Mitschüler zeigten mit dem Finger auf mich, lachten und schrieen, „Schaut Euch diesen Dummkopf an, der mit zwanzig Jahren noch Latein lernen will’,“ erinnert sich Lomonossow später. Doch noch im selben Jahr überspringt Michail zwei Klassen. Innerhalb von zwei Jahren lernt er zudem Latein und wendet sich dem Griechischen zu.
Der junge Lomonossow wird zu einem der besten Schüler – so gut, dass er nach fünf Jahren gemeinsam mit elf Mitschülern an die Russische Akademie der Wissenschaften in Sankt Petersburg entsandt wird…
Stand: 28.07.2006