Im Labor von Professor Stefan E. Kaufmann vom Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin erforschen die Wissenschaftler Infektionsmechanismen um sie für eine neue Generation von Impfstoffen zu nutzen. Und einen ersten Erfolg hat die Forschergruppe bereits für sich verbucht: Nach erfolgreich absolvierten Tierversuchen ging ein von den Berlinern entwickelter Impfstoffkandidat gegen die Tuberkulose Anfang 2006 in den klinischen Test der Phase 1. Er basiert auf dem herkömmlichen Tuberkulose-Impfstoff BCG, wartet aber mit einigen „Extras“ auf.
Viren-„Trick“ gegen Bakterium
Der neue Impfstoff-Kandidat nutzt einen Mechanismus aus, von dem die Fachwelt bisher annahm, dass ihn das Immunsystem nur zur Abwehr von Viren benutze, nicht aber gegen Bakterien. Normalerweise sind es unterschiedliche Shuttlemoleküle, die die Erreger-Antigene von Bakterien und Viren zur Stimulierung einer Immunantwort an die Zelloberfläche des Wirtes, in diesem Falle der Fresszellen (Phagosomen) bringen.
Die Antigene von Bakterien werden von bestimmten Shuttlemolekülen, den so genannten MHC-II Molekülen an die Zelloberfläche transportiert und aktivieren dort spezielle Immunzellen, die CD-4-T-Lymphozyten, auch Helfer-T-Zellen genannt. Diese sorgen vor allem für die „Einkapselung" des Tuberkulose-Bakteriums, vernichten es aber nicht. Der Erreger bleibt damit im Körper. Virenantigene dagegen binden an MHC-I-Moleküle und aktivieren an der Zelloberfläche einen anderen Immunzelltyp, CD-8-T-Lymphozyten. Diese Killerzellen zerstören die Wirtszelle mitsamt den in ihr enthaltenen Viren, indem sie sie in den programmierten Zelltod, eine Art Selbstmord auf Zellebene, treiben. Der Erreger ist damit beseitigt.
Enzym bohrt „Ausstiegsluken“
Doch es gibt auch bei den Bakterien Ausnahmen von dieser Verteilung. Eine davon entdeckte Kaufmann bei Arbeiten an dem Erreger Listeria monocytogenes, Bakterien, die bei Menschen Hirnhautentzündungen hervorrufen können. Listeria stimuliert nicht nur die für Bakterien-Abwehr typischen CD-4-T-Zellen, sondern auch die CD-8-Killer-Zellen. Ihr Trick – oder besser Pech: Der Erreger kann sich mithilfe eines porenbildenden Proteins, dem Listeriolysin, „Ausstiegsluken“ aus den Vakuolen der Fresszellen schaffen. Dies wiederum löst den „Selbstmord“ des Makrophagen aus.
Dabei werden jedoch Antigene des Bakteriums in winzigen Bläschen, den Vesikeln, eingeschlossen und freigesetzt. Umliegende Zellen nehmen diese Vesikel – und damit die Bakterienantigene – in ihr Zellplasma auf .Hier treffen diese auf MHC-I-Shuttles, die sie quasi als Virus behandeln und sie an der Zelloberfläche den CD8-Killerzellen präsentieren. Diese sind damit aktiviert und können nun gezielt die Bakterien vernichten.
Der Trick der Impfstoffforscher bestand nun darin, den herkömmlichen BCG-Impfstoff durch gentechnische Manipulation mit dem Gen für das Enzym Listeriolysin auszustatten. Dadurch wird das porenbildende Enzym auch vom abgeschwächten Impferreger produziert und die Killerzellen des Immunsystems können so aktiviert werden.
Dass das tatsächlich funktioniert, zeigten sich bereits sowohl in Laborexperimenten als auch im Tierversuch: Der „Super-BCG“-Impfstoff schützte tatsächlich gegen Lungentuberkulose und sogar gegen den aggressiven und meist resistenten Beijing-Stamm des Erregers – gegen beide ist die herkömmliche Vakzine wirkungslos. "Wir hoffen, mit dem neuen Impfstoff eine wirksame Waffe gegen diese Bedrohung gefunden zu haben", hofft Kaufmann. Ob sich dieser Erfolg allerdings ohne Nebenwirkungen auf den Menschen übertragen lässt, müssen die klinischen Tests nun zeigen.
Stand: 23.06.2006