Es gibt ihn trotz der modernsten Recycling-Technologie noch: den Restmüll. Knapp 45 Prozent bleibt nach der Mülltrennung in Glas, Papier, Bio, Verpackung, Batterien und Sonderstoffe übrig. Zunächst verschwindet er in die graue Tonne, um dann zu brennen, zu rotten und doch noch verwertet zu werden.
Seitdem in den 1980er Jahren die Idee Müll zu recyceln mit großer Begeisterung das Umweltbewusstsein wachsen ließ, wurden Mülldeponien und Müllverbrennungsanlagen zum Schwarzen Schaf der Umweltlobby. Schaurige Geschichten über Dioxinausstöße, sauren Regen und verseuchte Böden schufen das gefürchtete Bild einer Entsorgungsindustrie, die keiner wollte, aber alle brauchten.
Doch die schwarzen Schafe haben sich im Schatten der sauberen Verwertungsindustrie ein neues Fell zugelegt. Seit 1993 schreibt die Richtlinie „Technische Anleitung Siedlungsabfall“ einen Umstieg auf die umweltorientierte Kreislaufwirtschaft für den Restmüll vor. Statt vergraben sollte der Abfall verwertet und verarbeitet werden, da aus dem frischen Müllgemisch Giftsstoffe ins Abwasser sickern und das klimawirksame Gas Methan entweicht. Nach knapp zwölf Jahren ist es im Juni 2005 endgültig vorbei mit den Müllhalden. Deponien dürfen nur noch speziell behandelte Abfallreste lagern, die den strengen Richtlinien entsprechen.
Um auch den Restmüll zu verwerten statt zu entsorgen, wurden 2005 knapp 6,2 Millionen Tonnen Abfall zunächst durch mechanisch-biologische Verfahren aufbereitet. Als erstes sortieren die Anlagen aus der bunten Müllmischung die werkstofflich verwertbaren Materialien wie Metall, Glas und Kunststoff heraus, bevor sie brennbare Stoffe von nicht mehr nutzbaren Resten trennt. Während die Heizstoffe in die Verbrennungsanlagen wandern, interessieren sich für die Überbleibsel nur noch Mikroorganismen: Hohe Feuchtigkeit bei Temperaturen von 55 bis 60 Grad beschleunigen die Verrottung der Reststoffe. Erst was die Organismen auch nicht mehr als Nahrung verwenden können, wird endgültig auf der Deponie abgelagert.
Einst das Symbol für die Vergiftung der Umwelt übernimmt heute die neue Generation der Verbrennungsanlagen den größten Teil der Aufbereitung von Haushaltsabfällen. Während die Anzahl der Deponien seit 1990 um mehr als 70 Prozent gesunken ist, stieg die Kapazität der Müllverbrennungsanlagen um fast das doppelte. Neue Brenntechniken und Filteranlagen haben aus der „Dioxin-Schleuder“ von früher ökologisch geprüfte Anlagen gemacht. Der Dioxinausstoß aller Verbrennungsanlagen in Deutschland liegt mit 0,5 Gramm nicht nur unter den Emissionen der Metallindustrie, sondern auch rund 20 Mal niedriger als die Dioxinproduktion der Kamine und Kachelöfen privater Haushalte.
Von der Müllverbrennung zur Müllverwertung
Fast zwei Drittel des Restmülls wird in den Anlagen thermisch behandelt. Nicht nur die aussortierten Brennstoffe der mechanisch-biologischen Anlagen, sondern auch der Restmüll direkt aus der grauen Tonne. Dafür wurden die Müllverbrennungsanlagen mithilfe der Technik zu Müllverwertungsanlagen umgerüstet: High-Tech Verfahren minimieren nicht nur Emissionen, sondern erzeugen aus dem Abfall auch noch Strom und Wärme. Die modernste Anlage Europas am Rugenberger Damm in Hamburg (MVR) funktioniert dabei wie ein herkömmliches Kraftwerk – der Energiegehalt von Abfall ist genauso hoch wie der von Braunkohle. Die Brennwärme wird zu Wasserdampf umgesetzt, der mithilfe einer Turbine Strom erzeugt. Nachdem die MVR ihren Eigenbedarf gedeckt hat, speist sie die überschüssige Energie in das Netz der Hamburgischen Electricitäts-Werke ein. Mit dem heißen Wasser der Kühlanlagen werden noch 5.000 Hamburger Wohnungen im angrenzenden Stadtteil mit Fernwärme versorgt.
Anders als in den Sortieranlagen werden erst aus den Überresten nach der Verbrennung Eisen- und Nichteisenschrott, Gips, Schlacke und Salzsäure isoliert und an Metallhütten, den Straßenbau und die Chemie-Industrie weitergeleitet – von 1.000 Kilogramm Müll bleiben am Ende nur 26 Kilogramm Asche und Salze übrig, die aufbereitet zur Auffüllung alter Stollen genutzt werden.
Müllnotstand in Deutschland?
Trotz der ökologischen Fortschritte in der Müllverwertung begann mit dem Deponie-Verbot für unbehandelte Abfälle das Müllchaos in Deutschland. Bereits in ihrem Geschäftsbericht von 2003 befürchtete das Umweltbundesamt trotz der ansteigenden Entsorgungskapazitäten einen Engpass bei den Müllverbrennungsanlagen. Dennoch ist die Warteschlange für Müllautos vor den Aufbereitungsanlagen nun so lang, dass sich die Kommunen eine Notlösung schaffen. Bei den Landesregierungen stellen die Entsorger Antrag auf Zwischenlager, wo der Müll bis zu einem Jahr vor sich hin rotten soll, bis er endgültig verwertet wird.
Nach Angaben des Bundesumweltamtes kommen zu 1,2 Millionen Tonnen Hausmüll in Zwischenlagern noch weitere fünf Millionen Tonnen Gewerbemüll hinzu, der bisher auf „Billigdeponien scheinentwertet wurden“ – auf ungenehmigten oder für Gewerbemüll nicht zugelassenen Zwischenlagern. Angesichts voll ausgelasteter Anlagen ein wahrer Müllberg. Verschleierte Zahlenangaben, zu späte Investitionen und verzögerte Bauvorhaben sind verantwortlich für den Müllnotstand in Deutschland. Doch durch den Abschluss der laufenden Baumaßnahmen wird die Kapazität der Verbrennungsanlagen in den nächsten Jahren um ein bis zwei Millionen Tonnen gesteigert, die zumindest den unbehandelten Müll auffangen soll.
Kurzfristig empfiehlt das Bundesumweltamt die Müllflut durch besseres Sortieren aufzuteilen und bestehende Anlagen effektiver zu nutzen. Auf das Zwischenlagern von Reststoffen mit hohem Heizwert kann nach Ansicht der Experten allerdings für einen längeren Zeitraum nicht verzichtet werden. Eine stärkere Kontrolle der Auflagen soll jedoch verhindern, dass die Zwischenlager zu einem Provisorium ohne Ende werden.
Stand: 09.06.2006