Schuhe kaufen – so schwer kann das ja eigentlich gar nicht sein. Was nicht heißt, dass man nicht darüber verzweifeln könnte: Der eine macht keinen ausreichend wetterfesten Eindruck, ein anderer sitzt nicht richtig an der Ferse, wieder ein anderer drückt am kleinen Zeh. Von den Exemplaren, die schließlich in Frage kommen, ist immer noch eines eigentlich zu teuer, ein anderes zwar bequem, aber nicht unbedingt der letzte Schick, und ein drittes in der gewünschten Farbe momentan nicht in der passenden Größe vorhanden, in der nächsten Woche wohl aber wieder da. Was tun? Auf Nummer drei warten und dabei riskieren, dass Paar eins und zwei nicht mehr zu haben sind? Gleich zugreifen? Oder woanders weitersuchen?
Es ist kaum zu glauben: Aber was die Logik dieses Mechanismus betrifft, tappte die Wissenschaft bisher ziemlich im Dunkeln. Zwar kannte man Modelle, mit denen sich erklären ließ, warum in Entscheidungssituationen bestimmte Resultate erzielt werden. Aber keines dieser Modelle vermochte zugleich ein plausibles Bild der Prozesse der Entscheidungsfindung zu liefern.
So hat zwar die Evolutionspsychologie beispielsweise anhand der Partnerwahl glaubwürdig vorgeführt, warum ausgerechnet Attribute wie die weibliche Hüfte-Becken-Proportion oder männlicher Status und Wohlstand eine Rolle spielen. Aber wie anhand solcher Attribute die Wahl zwischen verschiedenen möglichen Partnern erfolgen soll, blieb dabei offen. Gibt es vielleicht eine Formel zur Bestimmung der optimalen Hüfte-Becken-Proportion? Und wie wird diese Eigenschaft mit anderen Attributen auf der Wunschliste der Evolution verrechnet? Gibt es ein geheimes Mathegenie, das in uns verborgen sein Werk verrichtet?
Die Ökonomie des Heiratens
Zu solch einer Ansicht gelangte in den 1970er-Jahren der Chicagoer Ökonom Gary Becker mit seiner Rationalchoice- Theorie. Becker modellierte das menschliche Paarungs- und Heiratsverhalten als eine Reihe von Transaktionen in einem Marktgefüge. Dabei versuchen die einzelnen Teilnehmer durch geschickte Partnerwahl die als Paar gemeinsam verfügbaren Ressourcen zu steigern – wobei als Ressourcen nicht nur geldwerte Güter und Kinder zählen, die die „Firma“ Familie produziert, sondern auch gegenseitige Anziehung oder Unterhaltung im Gespräch. Dank des unermüdlichen Einsatzes der berühmten unsichtbaren Hand des Marktes werden in dem Modell durch das eigennützig motivierte Agieren der Marktteilnehmer zugleich auch die durch die Gesamtheit der Spieler insgesamt erwirtschafteten Ressourcen maximiert.
In den Resultaten erwies sich der ökonomische Ansatz als erstaunlich plausibel. Becker zeigte auf mathematischem Weg, dass die traditionelle Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern als Resultat der Ökonomie des Heiratsmarktes verstanden werden kann. Oder warum im Kulturenvergleich Polygamie unter Männern verbreiteter ist als unter Frauen. Trotz seiner Vorzüge ist das Modell als Vorlage für Prozesse der Entscheidungsfindung völlig ungeeignet. Die Berechnungen, die es in dem Modell braucht, um einzelne Entscheidungen zu treffen, wären als Entscheidungsgrundlage im wirklichen Leben viel zu kompliziert. Außerdem sind die Informationen, die für solche Berechnungen nötig wären, meist gar nicht verfügbar.
Gary Beckers Ansatz, der lange Zeit als bestes Beispiel dafür galt, dass die Methode der ökonomischen Analyse das Zeug zu einer Universaltheorie hat und an der sich deshalb immer noch viele ökonomische Modelle zum Heirats- und Paarbildungsverhalten orientieren, ist daher lediglich ein Als-ob-Modell. Die Theorie kann im besten Fall zeigen, dass Menschen sich in ihren Entscheidungen so verhalten, als ob sie sich nach einem ökonomischen Kalkül richteten.
Stand: 12.05.2006