Das Barriereriff zerteilt das Wasser wie eine klare Grenze zwischen dem Leben in der Lagune und der Unterwasserwelt des philippinischen Ozeans: Ein Platz, wo sich zwei Lebensräume überschneiden und besonders hohen Artreichtum bietet. Drei große Meeresströmungen laufen in Palaus Gewässern zusammen. Sie beliefern mehr als 1.200 Quadratkilometer Riff mit Nährstoffen und Fischarten aus allen tropischen Meeren.
An der Riffkante tummeln sich die Hochseefische und warten darauf, dass die Ebbe nährreiches Wasser ausnahmsweise aus der Lagune ins offene Meer hinausträgt. Ein riesiger Schwarm Querbänder-Barrakudas überholt ein paar Gelbflossen-Thunfische und Riesenmakrelen. Doch aus dem weiten Blau nähern sich bereits die Herren des Riffs, die Anführer der Nahrungskette: Eine Gruppe von Grauen Riffhaien, die sich neugierig das Nahrungsangebot ansieht. Nach einigen Streifzügen entlang der Riffkante aber scheinen die drei Meter langen Exemplare den Hunger zu verlieren und drehen ab. Dabei werden sie von kleinen Großaugen-Stachelmakrelen verfolgt, die sich erst einzeln der Flosse des Hais nähern, um dann seitlich direkt auf Hautkontakt zu gehen. Forscher nehmen an, dass die Makrelen so die raue Haut der Haie wie Sandpapier nutzen, um ihre eigenen Hautunreinheiten abzuschmirgeln.
Auf einmal löst sich ein runder Schatten vom Riff und dreht mit einigen kräftigen Stößen eine Kurve durch das Revier der Großtiere. Die knapp ein Meter lange Hawksbill-Schildkröte wendet sich anschließend wieder gemütlich dem Plateau zu und landet zwischen dem regen Treiben der Rifffische. Die größeren Fische gleiten über den Trubel der winzigen Korallenfische hinweg, die durch das Netz der verzweigten Korallenarme sausen. In den Zwischenräumen verstecken sich Blaue Seesterne, Warzenschnecken und Muscheln.
Hinzu kommen über 300 Arten Krustentiere, mehr als 200 Weichtiere und etwa 120 Arten von Stacheltieren, wie Seeigel, Seesterne oder Seegurken. Um in dem Wirrwarr überhaupt noch aufzufallen braucht man schon eine Sonderaustattung, wie die blinkende Disko-Muschel: Die zehn Zentimeter breite Muschel hat ihre Schalen weit aufgesperrt und erzeugt in ihrem Innern einen zitternden Lichtstrahl, der ihre Beute fasziniert anlockt. Lichteffekte als Köder zu nutzen, ist besonders bei Tiefseelebewesen durchaus verbreitet. Hinter dem Leuchten, als Bioluminiszenz bezeichnet, steckt eine chemische Reaktion. Das Enzym Luciferase spaltet mit Hilfe von Sauerstoff Teilgruppen von dem Protein Luciferin ab. Dabei entsteht Energie, die als Licht abgegeben wird. Die Disko-Muschel erzeugt so einen blitzartigen Lichteffekt, der sofort ins Auge springt.
Dies ist nur einer von vielen kuriosen Tricks, mit denen vor allem die „sesshaften“ Tiere in der Unterwasserwelt ums Überleben kämpfen. Denn anders als Fische können Muscheln oder Korallen nicht ihrer Beute hinterher jagen, sondern müssen warten, bis die Nahrung zu ihnen kommt. So ernähren sich Korallen von kleinsten Schwebeteilchen, die sie aus dem Wasser filtern. Dafür herrschen ideale Bedingungen im strömungsreichen und nährstoffhaltigem Tiefengewässer von Palau. Nahe der Oberfläche jedoch bekommen Korallen ihre Energiezufuhr von einer Alge geliefert. Diese Zooxanthelle lebt in den Polypenspitzen der Koralle und produziert durch Photosynthese Zucker und Kohlenstoff, Nahrungsstoffe für die Koralle. Dafür lässt sie die Alge in den Polypen leben und versorgt sie mit Kohlendioxyd.
Über 700 Korallenarten haben Forscher bisher in Palau entdeckt, was diese Unterwasserwelt zu einer der artenreichsten Korallengärten der Erde macht. Daher sind Meeresbiologen seit einigen Jahren damit beschäftigt, die Veränderung der Korallen durch äußere Einflüsse in Palau genau zu dokumentieren. Besondere Bedeutung bekam die Arbeit, als im Jahr 1998 das „La Nina“ Ereignis die Wassertemperatur der Meere um fast fünf Grad erhöhte. Durch das warme Wasser wurde die Zusammenarbeit von Korallenpolypen und Algen empfindlich gestört. Die Algen fielen in eine Art Schockzustand und produzierten durch die Photosynthese keinen Zucker wie normalerweise, sondern aggressive Moleküle, die wie Gift wirkten. Daraufhin wurden sie von den Korallenpolypen abgestoßen. Mit der Alge verliert der Organismus nicht nur seinen Energielieferanten, sondern auch seine Farbenpracht. Es kommt zur so genannten „Korallenbleiche“, die zum Absterben der Koralle selbst führt.
1998 wurden 70 Prozent der Malediven-Riffe und 75 Prozent der Seychellen-Riffe beschädigt. Auch in Palau starb damals etwa ein Drittel aller Korallen durch den Temperaturanstieg. Die Acroporas Koralle wurde an einigen Stellen sogar zu 90 Prozent vernichtet. Lange war unklar, ob sich die Korallen wieder erholen und die Algen die Riffe wieder besiedeln können. In Palau beobachtet das International Coral Reef Center seit 2001, dass sich der Bestand schneller als etwa im Indischen Ozean wieder erholt. Besonders am äußeren Barriereriff nimmt der Korallenbewuchs in zehn Meter Tiefe wieder kontinuierlich wieder zu. Obwohl 2004 noch an einigen Stellen die Folgen der „Korallenbleiche“ zu erkennen waren, hoffen die Wissenschaftler, dass die Korallen sich in den weitläufigen Schutzgebieten langfristig wieder farbenprächtig ansiedeln.
Stand: 05.05.2006