Sie sind mit 500 Kilogramm leichter als ein Kleinwagen und kaum größer als ein Kleinbus. Trotzdem sind sie das Beste an Satellitentechnik, was das Deutsche GeoForschungszentrum Potsdam (GFZ) jemals in den Himmel geschickt hat. Denn die beiden GRACE-Zwillingssatelliten vermessen das Schwerefeld der Erde in extrem hoher Auflösung und haben damit unser Verständnis von der Gestalt der Erde und den Vorgängen im Erdinneren revolutioniert.
Ohne die Schwerkraft gäbe es vermutlich kein Leben auf der Erde und auch unser Alltag sähe völlig anders aus. Schon Isaac Newton vermutete, dass die Schwerkraft nicht nur das menschliche Leben sondern auch die äußere Form der Erde beeinflusst. Heute weiß man es sogar ganz genau: der Radius am Äquator ist 21 Kilometer länger als an den Polen. Doch mithilfe der GRACE-Mission (Gravity Recovery and Climate Experiment) konnten Wissenschaftler des GFZ eine weitere Besonderheit feststellen: das wahre Gesicht der Erde ist nicht kugelig und auch nicht ellipsoidförmig sondern schrumpelig wie eine Kartoffel – zumindest wenn man vom Aussehen des Erdschwerefeldes ausgeht.
Formationsflug auf Haaresbreite
Seit dem Jahr 2002 umkreisen die beiden baugleichen Zwillingssatelliten von GRACE die Erde und vermessen dabei ständig das Schwerefeld. Auf ihrer kreisförmigen und polnahen Umlaufbahn brauchen sie für eine Umrundung in rund 500 Kilometern Höhe nur etwa 95 Minuten. Der Clou dabei: die Satelliten fliegen in einem Abstand von nur 220 Kilometern hintereinander her und kontrollieren dabei ständig und auf weniger als Haaresbreite ihre Entfernung zueinander. Mit Hilfe dieser extrem genauen Abstandsmessungen werden kleinste Änderungen der Gravitationsbeschleunigung entlang der Flugbahn der Satelliten registriert und erlauben so Rückschlüsse auf das räumlich und zeitlich variierende Schwerefeld der Erde.
Fliegt beispielsweise der erste Satellit über ein Gebiet mit höherer Schwerkraft, so wird er dadurch zwar nur geringfügig in seiner Flugbahn verschoben, doch der Abstand zum zweiten Satelliten verändert sich. Verlässt nun der erste Satellit die Schwerefeldanomalie, so hat dies wiederum Einfluss auf seine Geschwindigkeit und damit auch auf die Entfernung zu seinem Zwillingspartner. Aus diesen geringfügigen Abweichungen leiten die Wissenschaftler jeden Monat aufs Neue ein Abbild des Schwerkraftfeldes der Erde ab.
Das GRACE-Wissenschaftlerteam am GFZ Potsdam konnte den Nachweis erbringen, dass mit GRACE umweltrelevante Prozesse aus dem Weltraum, die bisher messtechnisch unzugänglich waren, mit globaler Abdeckung zu erfassen sind. Dabei wird das Erdschwerefeld vor allem durch die Topographie und die Zusammensetzung der Erdkruste beeinflusst. Beispielsweise ist die Gravitation über eisenerzhaltigen Gebirgen viel größer als über kalksteinhaltigen Tiefebenen.
Schwerkraft im Wandel
Doch das neue Bild der Erde ist nicht nur für Physiker und Vermessungsingenieure sondern auch für Klima- und Ozeanforscher interessant. Durch die exakte Kenntnis vom Schwerefeld der Erde lassen sich neue Berechnungen über die Tiefen- und Oberflächenströmungen in den Ozeanen, die Veränderungen der Eisbedeckung an den Polen oder die dynamischen Vorgänge im Erdinneren anstellen. Denn das Schwerefeld der Erde verändert sich ständig dort, wo beispielsweise Eis, Wasser oder auch glutflüssiges Magma in Bewegung ist.
GRACE kann diese so genannten Massenbewegungen über die Messung der zeitlichen Änderung der Gravitation erfassen und liefert somit erstmals ein globales Modell für die Austauschvorgänge zwischen Land, Ozean und Atmosphäre.
Erst unlängst konnten beispielsweise die Forscher mithilfe dieser Messungen die jahreszeitliche Wasserbilanz der Kontinente berechnen. Die größten saisonalen Schwankungen zeigen vor allem die tropischen Flusseinzugsgebiete von Amazonas, Kongo oder Ganges und die sibirischen Flüsse Ob, Lena und Yenisei. Zwar wusste man bereits um deren jahreszeitlichen Änderungen im Wasserstand, doch die genaue Wasserbilanz war bislang unbekannt. Die Ergebnisse von GRACE revolutionieren daher nicht nur unser Wissen über unseren Planeten, sondern helfen auch in Zukunft, die Daten für Klimamodellberechnungen zu verbessern.
Stand: 24.02.2006