Professor Dr. Rolf Emmermann ist seit 1992 Vorstandsvorsitzender des GeoForschungsZentrums (GFZ) Potsdam. Unter seiner Führung hat sich das GFZ zu einem weltweit führenden Wissenschaftsstandort entwickelt. Der Mineraloge und Petrologe Emmermann engagiert sich schon seit Jahren in Projekten, die den deutschen Geowissenschaften internationale Anerkennung brachten. So war er unter anderem für die Gesamtkoordination des geowissenschaftlichen Großforschungsprojekts „Kontinentales Tiefbohrprogramm der Bundesrepublik Deutschland“ (KTB) verantwortlich.
g-o.de:
Herr Professor Emmermann, seit 1992 führen Sie jetzt als Vorstandsvorsitzender die Geschicke des GeoForschungsZentrums Potsdam. Wie fällt Ihre bisherige Bilanz aus? Was hat sich seit damals verändert?
Prof. Emmermann:
Meine Bilanz fällt insgesamt positiv aus. Das GeoForschungsZentrum Potsdam hat sich sehr gut entwickelt, eine hohe nationale und internationale Sichtbarkeit erreicht und auf einigen Gebieten wegweisende Aktivitäten gestartet. Hierzu gehörten beispielsweise das Konzept der niedrigfliegenden Geosatelliten mit spezifischen Aufgaben, die FuE-Arbeiten auf dem Gebiet der Geothermie oder die Untergrundspeicherung von Kohlendioxid.
Seit 1992 haben sich insbesondere die Geowissenschaften selbst verändert, indem sie heute nicht nur das System Erde in all seinen Kompartimenten untersuchen, sondern auch den Faktor Mensch in der Gesellschaft wesentlich stärker mit in die Betrachtungen einbeziehen. Außerdem hat sich die Forschungspolitik wesentlich geändert, insofern nämlich, als die gesellschaftliche Relevanz der Forschungsarbeiten und die Umsetzung der Forschungsergebnisse in praktische Anwendungen eine wesentlich stärkere Rolle spielen, als das bei der Gründung des GFZ Potsdam der Fall war.
g-o.de:
Egal ob Tsunami in Indonesien oder Erdbeben in der Türkei: Das Knowhow und die Technik des GFZ sind überall auf der Welt gefragt. Warum ist das GFZ in vielen Bereichen zum „Vorreiter“ geworden?
Prof. Emmermann:
Die Prozesse im System Erde laufen auf einem sehr breiten Spektrum an zeitlichen und räumlichen Skalen ab. Um sie zu erfassen und das System in seinen Teilbereichen und insgesamt zu verstehen, ist es deshalb auch zwingend erforderlich, ein breites Spektrum an Methoden und Technologien einzusetzen. Die Entwicklung und Weiterentwicklung von derartigen „Geotechnologien“ ist deshalb eine Voraussetzung für Fortschritte in der geowissenschaftlichen Forschung. Das GFZ Potsdam verfügt über eine breitgefächerte Wissenschaftsinfrastruktur und hat seine FuE-Arbeiten auf Forschungsthemen konzentriert, die den Einsatz und die Fortentwicklung dieses Instrumentariums zur Voraussetzung haben. Diese methodischen Weiterentwicklungen erfolgen in der Regel in enger Kooperation mit nationalen und internationalen Partnern und sind durch eine entsprechende Infrastrukturförderung möglich geworden.
g-o.de:
Gibt es einen Forschungsschwerpunkt im System Erde, der Ihnen zurzeit besonders am Herzen liegt?
Prof. Emmermann:
Im letzten Jahrzehnt ist die Rolle der Biosphäre und ihr zentraler Einfluss auf die Entwicklung unseres Planeten immer deutlicher geworden. Ein spannendes neues Thema, das sich in diesem Zusammenhang ergeben hat, ist die sogenannte „Tiefe Biosphäre“, d. h. der Teil der Biosphäre, der sich unter der Erdoberfläche befindet. Wir wissen heute, dass es Mikroorganismen gibt, die bei Temperaturen bis zu etwa 115 °C existieren und damit in Erdtiefen vorkommen können, die bisher als „lebensfrei“ angesehen wurden. Dieses aktuelle Forschungsgebiet wird seit einiger Zeit auch intensiv am GeoForschungsZentrum bearbeitet, um zu verstehen, wie tief die Biosphäre in die Erde hineinreicht, wie groß ihr Anteil an der gesamten Biosphäre ist und welche Prozesse durch sie gesteuert werden. Hier wird es in Zukunft ganz sicherlich eine wesentlich engere Kooperation zwischen den Bio- und Geowissenschaften geben, und ich erwarte eine Vielzahl von überraschenden neuen Erkenntnissen für das Verständnis von „Geoprozessen“.
g-o.de:
GRACE, Tsunami-Frühwarnsystem oder CHAMP das ist heute. Doch womit werden sich die Geowissenschaftler und speziell das GeoForschungsZentrum Potsdam in Zukunft beschäftigen?
Prof. Emmermann:
Die Erdbeobachtung mit Satelliten und Satellitentechnologien hat in den letzten Jahren eine rasante Entwicklung erfahren. Raumgestützte Messverfahren und ihr Einsatz zur Erfassung von Geoprozessen und zum Monitoring von Trends und Entwicklungen im System Erde werden deshalb in Zukunft eine zentrale Rolle in den Geowissenschaften spielen müssen, wenn es darum geht, den Zustand unseres Planeten zu bewerten und kritische Schwellenwerte zu identifizieren. Hier hat Deutschland im internationalen Vergleich heute schon eine starke Position, die es in der Zukunft noch weiter auszubauen gilt.
g-o.de:
Die Staatskassen sind leer, deshalb liegt bei der Forschungsförderung einiges im Argen. Verfügt das GFZ trotzdem über genügend finanzielle Mittel, um alle wichtigen Projekte durchzuführen?
Prof. Emmermann:
Das GeoForschungsZentrum Potsdam ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren, zu deren Mission es gehört, strategisch-programmatisch ausgerichtete Spitzenforschung zur Lösung großer und drängender Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft durchzuführen. Wie alle anderen Forschungszentren der Helmholtz-Gemeinschaft beschäftigt das GFZ Potsdam sich deshalb mit Systemen hoher Komplexität – in unserem Fall mit dem System Erde – und tut dies unter Einsatz von Großgeräten und leistungsfähigen wissenschaftlichen Infrastrukturen sowie in enger Vernetzung mit starken nationalen und internationalen Partnern. So lange wir mit unseren FuE-Aktivitäten dieser anspruchsvollen Mission genügen – und das wird alle fünf Jahre von einer internationalen Bewertungsgruppe überprüft -, werden wir im Rahmen der Finanzierung der Helmholtz-Gemeinschaft auch über genügend Mittel verfügen, unsere Forschungsvorhaben durchzuführen.
g-o.de:
Herr Professor Emmermann, jetzt noch eine eher persönliche Frage: Sie haben viele repräsentative Aufgaben für das GFZ zu erfüllen, kommen Sie eigentlich noch selber zum Forschen? Wenn ja, was ist Ihr persönliches „Steckenpferd“?
Prof. Emmermann:
Die Entstehung von Graniten beschäftigt mich seit meiner Doktorarbeit. Ich habe diese Thematik über die gesamten letzten Jahrzehnte nicht nur in der Literatur verfolgt, sondern mit Diplomanden, Doktoranden und auch selbst intensiv und unter Einsatz immer neuer Methoden bearbeitet. Ein aktuelles Thema sind dabei nach wie vor die großen nichtorogenen Granitvorkommen, deren Genese in einem engen Zusammenhang mit den dynamischen Prozessen bei einem Kontinentzerfall steht.
g-o.de:
Herr Professor Emmermann, wir danken Ihnen für dieses Gespräch!
Stand: 24.02.2006