Zoologie

Der T.-Rex der Meere

Ein Ökosystem verliert seinen Chef

Seit über 400 Millionen Jahren leben Haie in den Ozeanen dieser Welt. In dieser Zeit sind sie in der Nahrungskette bis an die Spitze aller Raubtiere unter Wasser geklettert. Doch innerhalb der letzten 15 Jahre sind vor amerikanischen Küsten fast 80 Prozent der Weißen Haie, Hammerhaie und Fuchshaie getötet worden. Was sind die Folgen für ein Ökosystem, wenn der Nahrungspyramide ihre Spitze fehlt?

Jedes marine Ökosystem fängt mit photosynthetischen Organismen an, die Sonnenenergie in organische Nahrung für alle anderen Meeresbewohner umwandeln. Die Pflanzen werden von etlichen „Vegetariern“ abgegrast, die wiederum auf der Speisekarte der Fleischfresser stehen. In der Nahrungspyramide regiert dann meist mit zunehmender Körpergröße das „Recht des Stärkeren“, bis nur noch die Top-Raubtiere an der Spitze übrig bleiben. Zu diesen gehören die Haie und einige Zahnwale.

Die Nahrungskette eines Ökosystems reicht bis zu Schwarmfischen und Pflanzenfressern © IMSI

Die spanischen Biologen Jordi Bascompte und Carlos Melián haben mit ihrem amerikanischen Kollegen Enric Sala das riesige Nahrungsnetz eines karibischen Ökosystems untersucht. Auf einer Fläche von fast 1.000 Quadratkilometern beobachteten sie von der Wasseroberfläche bis in 100 Meter Tiefe 3.313 Wechselbeziehungen zwischen 249 Lebensorganismen. Pflanzengruppen, Wirbellose Tiere, See-Schildkröten und bis zu 208 Fischarten sind gegliedert in ein komplex verzweigtes Nahrungsnetz, dass von dem Top-Räuber der Meere angeführt wird: dem Hai.

Alle Lebewesen eines Ökosystems sind über Wechselbeziehungen ihrer Beute, beziehungsweise Jäger über ein weit verflochtenes Netz miteinander verbunden. Daher betonen die Forscher der Universität von Kalifornien und der Integrativen Ökologie-Gruppe aus Sevilla, dass das verzweigte Beziehungsnetz eines Lebensraumes im Grunde die Folgen der Überfischung von Raubtieren abmildern kann.

Problematisch wird es jedoch, wenn in Ökosystemen ein einzelnes Raubtier alleine auf der höchsten Nahrungsebene steht. Denn je weniger Arten auf einer Stufe stehen, desto mehr Lebewesen sind direkt oder indirekt von ihnen abhängig. Daher betonen die Biologen in ihrem Aufsatz für die National Academy of Sciences im April 2005: „Die Auswirkungen der Fischerei sind stärker als erwartet, weil die Industrie sich vorzugsweise auf einzelne Arten konzentriert, deren Fehlen das ganze Nahrungsnetz zerstören kann“.

Korallen brauchen Haie

Die Haie halten das gesamte Ökosystem eines Riffs im Gleichgewicht © Universität von Kalifornien

So kann der Zusammenbruch der Haipopulation eine ganze Lawine von Auswirkungen bis hin zu den Pflanzen eines Ökosystems haben. Weniger Haie bedeutet mehr Fleischfresser, wie den Barsch, die wiederum massiv Pflanzenfresser wie die Papageifische dezimieren. Die Folge ist ein Ausbreiten von Grünpflanzen, wie Algen, die in einigen karibischen Gebieten nun die Korallenriffe überwuchern.

„Es scheint, dass Ökosysteme wie karibische Korallenriffe daher Haie brauchen, um die Stabilität des ganzen Systems zu gewährleisten“, resümiert das Forscher-Team. Ihre Untersuchung ist ein erster Schritt zum besseren Verständnis der Rolle von Haien im Lebensraum Ozean. Vielleicht fließen damit mögliche Folgen einer Hai-Überfischung bereits vorher in die Entscheidung der Fischer mit ein. Dann ist es keine Überraschung, dass die gezielte Jagd auf Tigerhaie in Hawaii auch die Fischarten reduziert, die sonst kommerziell gefischt werden. Raubfische, die sonst Beute der Haie waren, hatten durch ihre Vermehrung die anderen Fischbestände stark verkleinert.

Die Wissenschaftler Bascompte, Melián und Sala wollen daher auch nicht explizit für den Schutz der Haie werben, sondern schlagen einen ganzheitlichen Ansatz zur Bewahrung größerer Ökosysteme vor. Dafür wäre auch die genauere Erforschung der Haie als Top-Raubtiere ein Schlüssel. Denn so wenig immer noch über das Verhalten der gefährdeten Raubtiere bekannt ist, „über ihre Rolle im Nahrungsnetz wissen wir noch viel weniger“ sagt Volker Holmes vom WWF.

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Stand: 10.02.2006

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Inhalt des Dossiers

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