Ihm mangele es an akademischer Objektivität, ist einer der häufigsten Vorwürfe, den Kritiker dem Populärwissenschaftler Brehm mach(t)en. Zu seiner Zeit wurde Brehm dennoch von vielen respektvoll „Tiervater“ genannt. Doch wie diese Formulierung so erscheinen auch seine Texte heute oft bieder oder volkstümlich.
Da erscheint die Gazelle als Sinnbild weiblicher Schönheit und äugt, auf ihre Schnelligkeit vertrauend, sorglos auf Kamelkarawanen. Alleinstehende Alk-Männchen bebrüten auf den Schärenfelsen als aufopferungsvolle „Hausfreunde“ die Eier benachbarter Paare. Das Opossum gilt laut Brehm „zu Recht als ein höchst widriges Geschöpf“. „Hässlich und im höchsten Grade abstoßend und widerlich“ ist auch der Beutelteufel. „Die geistigen Fähigkeiten der Flatterthiere“, findet er, „sind keineswegs so gering, als man gern annehmen möchte, und strafen den auf ziemliche Geistesarmut hindeutenden Gesichtsausdruck Lügen.“ Und während er in den Pavianen die „hässlichsten, rüdesten, flegelhaftesten und deshalb widerwärtigsten Mitglieder der ganzen Ordnung“ sieht, sind die Meerkatzen für ihn „die schönsten, nettesten und gemüthlichsten“ unter den Affen.
Dieses persönliche Urteil und die Vermenschlichung, die im Original-„Brehm“ die Regel waren, gelten heute nicht mehr als wissenschaftlich. In den über 200 Auflagen des „Tierlebens“ verschwanden deshalb nach und nach die blumigen Beschreibungen aus Brehms Feder.
Obwohl Brehm die für seine Zeit ungewöhnliche Verhaltensforschung mit begründete, geschah dies doch aus einer noch sehr anthropozentrischen Sicht. Die im Laufe der Jahrzehnte überholten evolutionstheoretischen, genetischen oder verhaltensbiologischen Fehlinterpretationen Brehms wurden deshalb ebenso aus den Neuauflagen des „Tierleben“ getilgt. Die letzten der allein in Deutschland erschienenen 200 Ausgaben von „Brehms Tierleben“ enthalten aus diesem Grund längst keinen der Originaltexte mehr.
Heute sind die Werke Brehms meist nur noch im Antiquariat zu haben. Den Original-„Brehm“ gibt es höchstens in Auszügen, wobei die Bilder im Vordergrund stehen. Viele Verlage haben ihn in den vergangenen Jahren sogar ganz aus dem Programm genommen. Der Markenname „Brehm“ verblasst langsam. Außergewöhnlich bleiben das „Tierleben“ und die Karriere des Wissenschaftlers dennoch…
Stand: 01.04.2005