Wenn Gebirge sprechen könnten, so hätten sie sicherlich viel zu erzählen: Von der Auffaltung über mehrere Millionen Jahre hinweg, über die zerstörerischen und an ihren Flanken nagenden Kräfte von Wind und Wetter, der Überlagerung mit Sedimenten und der Verformung des Untergrundes durch auflagernde Deckschichten. Und selbst wenn das Gebirge bis auf den Rumpf abgetragen wurde, so hat es häufig doch „nur“ einige Millionen Jahre Ruhe, bis es erneut angehoben wird und die Gebirgsbildung von neuem beginnt.
Schon lange rätselt die Wissenschaft, wann wohl das weltweit erste Gebirge entstanden sein könnte. „Es gibt eine große Diskussion in unserem Arbeitsgebiet, ob große Kontinente und Plattentektonik bereits im Archaikum der Erde existierten oder nicht – also vor mehr als 2,5 Milliarden Jahren“, erklärt Larry Heamann, Professor der Geowissenschaften an der Universität von Alberta. Da nach heutigem Kenntnisstand die Gebirgsbildung eng mit der Plattentektonik zusammenhängt, müssten sich zwangsläufig zu dieser Zeit auch die ersten Gebirge gebildet haben.
Im Verlauf der Erdgeschichte sind des Öfteren Kontinente entstanden und wieder verschwunden. Nach heutigem Wissen waren alle Landmassen insgesamt fünf Mal zu einem Riesenkontinent vereint, der danach wieder zerbrach. Entsprechend hat es auch immer wieder neue Konstellation der Erdplattennahtstellen und der Subduktionszonen gegeben. Beim Zusammenprall der Riesenkontinente entstanden neue Gebirge, bei ihrem Zerfall hingegen neue Ozeanbecken. Interkontinental gelegene Gebirge wie der Ural weisen auch heute noch auf die ehemalige Kollision zweier Kontinentalplatten hin. Jeder dieser Superkontinentzyklen dauerte schätzungsweise mehrere 100 Millionen Jahre.
Alter Stein, junges Gebirge
Verlässlich nachweisen lassen sich allerdings nur noch drei große, weltumspannende Perioden der Gebirgsbildung. Von alt nach jung sind dies die kaledonische, variszische und alpidische Faltungsphase. Doch die zeitliche Einteilung der Gebirge gibt lediglich einen Hinweis auf ihren Entstehungszeitraum und nicht auf das tatsächliche Alter der gefalteten Gesteine. So sind beispielsweise die Felsformationen der Kalkalpen als Sedimentschichten bereits lange vor den ersten Auffaltungsbewegungen der Alpen entstanden.
Kaledonische Faltung
Eine der ältesten bekannten Gebirgsbildungsphasen haben Geologen für das frühe Paläozoikum vor 510 bis zu 410 Millionen Jahren nachweisen können. Bezeichnet wurde sie nach den Kaledoniden, die als riesiger Gebirgszug zwischen den damaligen Kontinenten Fennoskandia und Laurentia entstanden. Heute sind die Reste dieses Giganten durch die Kontinentaldrift weit über den Globus verteilt. „Beteiligt“ sind das Schottische Hochland, Teile von Irland, die nördlichen Appalachen, die südostaustralischen Gebirge, Neufundland, Ostgrönland und die Skanden.
Variszische Faltung
Die Varisziden bildeten sich aus den Sedimenten des variszischen Meeresbeckens, das im mittleren Paläozoikum vor ungefähr 400 bis 280 Millionen Jahren weite Teile West- und Mitteleuropas bedeckte. Heutige Reste dieses ehemaligen Hochgebirges sind insbesondere die europäischen Mittelgebirge wie Harz, Rheinisches Schiefergebirge oder das Erzgebirge. Fälschlicherweise werden jedoch häufig alle zu jener Zeit entstandenen Gebirge der variszischen Faltungsphase zugerechnet, auch wenn sie von ihrer Genese nicht miteinander verwandt sind. Zu diesen „Trittbrettfahrern“ zählen der Ural, die südlichen Appalachen, das nordostaustralischen Gebirge und der Altai.
Alpidische Faltung
Die Alpen wurden namensgebend für die jüngste Faltungsphase, die vor ungefähr 100 Millionen Jahren einsetzte und sogar bis heute andauert. Ausgehend von tektonischen Hebungsphasen seit dem Ende der Kreidezeit gehen alle heutigen Hochgebirge auf das Konto der alpidischen Faltung und sind demzufolge geotektonisch „junge Hüpfer“. Im Wesentlichen sind dies die europäischen Alpen, die Pyrenäen, der Atlas, die Karparten, der Kaukasus, der Himalaya, die Rocky Mountains sowie die südamerikanischen Anden und die neuseeländische Alpen.
Stand: 26.11.2004