Testosteron ist der Stoff, der Männer macht. Er verursacht nicht nur die Entwicklung von äußeren und inneren Geschlechtsmerkmalen, sondern gibt Männern auch die nötige Kraft, Potenz und Aggressivität, so die verbreitete Ansicht. Und deshalb müsse das Hormon auch helfen, wenn es insbesondere bei fortgeschrittenem Alter an einem oder allem dieser Eigenschaften mangelt.
Als willkommene Helfer bei mangelnder Muskelmasse sind Testosteron und seine Verwandten, die Anabolika, im Sport schon seit langem eine feste Größe. Aber auch an den „männlichen Wechseljahren“ und Potenzproblemen soll das Testosteron, oder vielmehr ein Mangel desselben, schuld sein. Entsprechend stark beworben werden Testosteron-Präparate als Wohlfühl-, Potenz- und Anti-Aging-Mittel.
Doch in der Wissenschaft ist die Existenz einer so genannten „Andropause“ bisher keineswegs etabliert. Die Produktion des Testosterons in den Hoden sinkt bei Männern ab 35 zwar um durchschnittlich etwa ein Prozent pro Jahr ab, doch das Ausmaß und die Geschwindigkeit dieser Abnahme ist von Mann zu Mann stark unterschiedlich. Unter den Normalwerten liegt der Hormonspiegel nach Angaben der amerikanischen National Institutes of Health höchstens bei fünf bis zehn Prozent aller älteren Männer.
Potent oder doch nicht?
Genau diese – und alle anderen Möchtegern-jugendlichen Männer – sind jedoch die Zielgruppe der Gele, Tabletten und sonstigen Testosteronmittel, die gegen Potenzstörungen, Fettansatz und Muskelabbau helfen sollen. Doch die vollmundigen Versprechungen lassen sich leider nicht halten. Denn das künstlich zugeführte Testosteron landet meist nicht dort, wo es gebraucht wird, sondern wird im Körper relativ schnell zu Östrogen und Dehydrotestosteron abgebaut oder gleich komplett von Enzymen zersetzt – und verfehlt somit seine Wirkung.
Hilfreich ist, so die einhellige Meinung der Forscher, eine Testosterongabe als Potenzmittel nur bei den Männern, die an einer krankhaften Hodenverkümmerung leiden, bei allen anderen führt das Hormon allenfalls zu einer Vergrößerung der Prostata und Haarausfall. Hinzu kommt, dass Impotenz in 90 Prozent der Fälle keineswegs durch einen Hormonmangel, sondern durch Durchblutungsstörungen oder aber psychische Gründe verursacht wird. Unter anderem deshalb setzen Viagra und die meisten anderen heute am Markt erhältlichen Potenzmittel auf eine verbesserte Durchblutung der entscheidenden Körperteile, nicht aber auf Hormone.
Schlau und glücklich?
Doch auch wenn das Testosteron in körperlicher Hinsicht hinter seinem Ruf zurückbleibt, es zeigt dafür auf anderem Gebiet unerwartete Wirkungen: Studien haben gezeigt, dass hohe Testosteronwerte bei älteren Männern die kognitiven Fähigkeiten verbessern können. Ein im Verhältnis erhöhter Östrogenspiegel verschlechterte dagegen das Abschneiden in Gedächtnistests.
Und sogar gegen Depressionen soll das Testosteron helfen: Forscher verabreichten Männern zwischen 35 und 65, die an einer Depression und niedrigen Testosteronwerten litten, das Hormon in Form eines Gels, eine gleich große Gruppe erhielt eine Placebo-Einreibung. Nach acht Wochen erzielten die mit dem Testosteron behandelten Probanden in mehreren gängigen psychologischen Tests erheblich bessere Werte als zu Beginn der Studie – ihre Depression hatte sich gelegt. Andere Studien allerdings kamen zu weitaus weniger signifikanten Ergebnissen – ein endgültiges Urteil steht hier daher noch aus.
Krebs
Offenbar bringen Testosteronpräparate für den „Normalmann“ nicht nur wenig Vorteile, sie könnten sogar Schaden anrichten. Es gibt erste Hinweise darauf, dass eine unkontrollierte Hormongabe die Prostata nicht nur vergrößert, sondern möglicherweise auch die Entwicklung von Krebs fördert und bereits vorhandene Tumore zu schnellerem Wachstum antreibt. Gleichzeitig zeigen Studien, dass zu viel Testosteron auch einen Überschuss von roten Blutkörperchen auslösen kann und damit das Blut gefährlich verdickt. Die amerikanische Gesundheitsbehörde warnt daher ausdrücklich vor einer unkontrollierten Einnahme und konstatiert: „Die Frage ob die Vorteile einer Testosteron-Ersatz-Therapie einen ihrer potenziellen negativen Effekte aufwiegt, bleibt unbeantwortet, bis es mehr wissenschaftlich abgesicherte Studien dazu gibt.“
Stand: 19.11.2004