Die Nachrichten aus Tansania schlugen in der wissenschaftlichen Welt ein wie ein Bombe. Erstmals war es einer Forscherin gelungen, bei Tieren Eigenschaften nachzuweisen, die man bis dahin ausschließlich dem Menschen zugeschrieben hatte. Der Mythos vom genialen Menschen und dem dummen, ausschließlich instinktgetriebenen Tier begann heftig zu bröckeln.
Forscher aus aller Welt machten sich auf, um die Beobachtungen von Goodall zu bestätigen oder noch mehr über die mutmaßliche Intelligenz von Menschenaffen im tropischen Regenwald herauszufinden.
Forscher wie die Schweizer Hedwige und Christophe Boesch konnten im Laufe der Jahre zeigen, dass Schimpansen Werkzeuge nicht nur zum Termitenangeln benutzen, sondern beispielsweise auch um besonders widerspenstige Nüsse damit zu knacken. Das Patent der Schimpansen unterscheidet sich dabei von Region zu Region erheblich – die einen benutzten Holz-, die anderen Steinwerkzeuge um an die begehrten Kerne zu gelangen – und es wird ebenfalls von Generation zu Generation weitergegeben.
Bemerkenswert waren auch die Studien des amerikanischen Forschers Gordon G. Gallup der bereits 1970 im Labor zeigte, dass sich Schimpansen im Spiegel wieder erkennen und demnach ein Bewusstsein von sich selbst haben müssen. In anderen Experimenten lernten Schimpansen oder Gorillas die Zeichen- oder Taubstummensprache.
Medikament Pflanze
Der amerikanische Anthropologe Richard Wrangham von der Harvard Universität wies zusammen mit Kollegen nach, dass sich Schimpansen sogar ausgiebig im Arzneischrank der Natur bedienen und bestimmte Pflanzen zur Behandlung von Krankheiten benutzen. Vor allem verschiedene Aspilia-Arten, die auch unter Menschen als wichtige Heilpflanzen gelten, haben es ihnen dabei angetan. Bei Beschwerden, so Wranghams Beobachtungen in jahrelanger Feldforschung beim Kibale-Schimpansen-Projekt im Westen Ugandas, werden diese Pflanzen von den Schimpansen gezielt gesucht und verspeist.
Auch Jane Goodall – die „Mutter Teresa der Affen“, wie sie oft genannt wird -, war nach ihren ersten bahnbrechenden Erkenntnissen über Schimpansen nicht untätig. So berichtet sie in ihrem 1990 erschienenen Buch „Through a Window“ über Emotionen wie Glück, Liebe, Aggressionen oder Depressionen, die sie bei Schimpansen entdeckte. Goodall ging sogar noch weiter und behauptete, dass sie jede Gefühlsregung, die sie im Laufe ihres Lebens an sich selbst beobachtete, genauso auch bei Schimpansen gefunden hat.
Schimpansinnen lernen schneller
Mädchen lernen schneller – selbst diese Erkenntnis aus der menschlichen Kognitionsforschung scheint nach neuesten Erkenntnissen auch bei Schimpansen zu gelten. Wie Wissenschaftlerinnen der Universität von Minnesota im Jahr 2004 bei Studien im Gombe-Nationalpark zeigten, imitiert der weibliche Schimpansen-Nachwuchs das Verhalten der Mutter beim Termitenangeln bis ins Detail. Die jungen Schimpansinnen benötigten deshalb nur die Hälfte der Zeit wie die männlichen Tiere um die Technik zu erlernen. Der Grund für das Lerndefizit der Männer: Statt ihre Mütter zu beobachten verbrachten die jungen Schimpansen ihre Zeit lieber mit Spielen und Kämpfen.
Auch Erklärungen für diese Fähigkeiten der Schimpansen sind zumindest ansatzweise bekannt. So entdeckten Hirnforscher, dass Schimpansen von der relativen Gehirngröße, dem Verhältnis von Hirn- zu Körpergewicht, die meisten anderen Tiere weit übertreffen und sogar annähernd die Werte des Menschen erreichen. Dies allein ist nach Meinung der meisten Wissenschaftler als Maßstab für Intelligenz nicht ausreichend.
Genetiker, die das Erbgut von Mensch und Schimpanse untersuchten, stellten zudem fest, dass das Genom zu 98,6 Prozent übereinstimmte. Angesichts der Tatsache, dass jedoch auch die Maus, ein nach allgemeiner Ansicht nicht besonders „kluges“ Tier ebenfalls bis zu 80 Prozent des Genoms mit uns teilt, ist auch dieses Argument nicht besonders stichhaltig.
Trotz all der erstaunlichen Fähigkeiten sind Forscher heute zudem nicht mehr unbedingt davon überzeugt, dass Affen anderen Tieren von der Intelligenz her deutlich überlegen sind. Die amerikanische Primatenforscherin Dorothy Cheney sieht das in der Wochenzeitschrift „Die Zeit“ so: „Vor zehn Jahren schien noch klar, dass Affen etwas Besonderes sind. Doch es gibt keinen Beweis, dass ihre Intelligenz sich von der anderer Tiere grundsätzlich unterscheidet“.
Stand: 29.10.2004