Aus Cowboyfilmen hat jeder ein bestimmtes Bild vom „Wilden Westen“ im Kopf: Rote Sandsteinformationen in den bizarrsten Formen, tiefe Canyons, teilweise bewaldet, aber meistens eher wüstenartig und karg sowie die Weite der Prärie. Diesem „Idealbild“ des „Wilden Westens“ entspricht Four Corners – der Punkt in den USA, an dem vier Bundesstaaten (Utah, Colorado, New Mexico und Arizona) zusammentreffen. Geographisch betrachtet liegt Four Corners auf einer circa 3.000 Meter hohen Hochebene – dem Colorado Plateau, einem Tafelberg – zerfurcht von schluchtenartigen Canyons. Four Corners ist aber vor allem im Zusammenhang mit den sagenumwobenen Anasazi-Indianern bekannt geworden – hier war ihr wichtigstes Siedlungsgebiet.
Die Anasazi gelten bei den Navajo-Indianern als die „geheimnisvollen Alten“. Auch ins Deutsche übersetzt bedeutet der Name soviel wie „die Alten“ oder „alte Ahnen“. Wie der Stamm sich selbst bezeichnete, weiß man bis heute nicht.
Geheimnisvoll jedoch ist dieser Stamm in jedem Fall, denn im Jahr 100 vor Christus tauchten die Anasazi plötzlich wie aus dem Nichts auf. Einer Legende nach kam der prähistorische Indianerstamm zu dem Zeitpunkt, als Erde und Zeit geboren wurden, direkt aus einer Unterwelt. Und genauso mysteriös, wie sie auftauchten, verschwanden sie später um 1300 nach Christus auch wieder.
Auch dieses plötzliche Verschwinden gibt den Wissenschaftlern bis heute Rätsel auf. Waren die geschichtlich belegte extreme Dürre (1275 bis 1300) und der dadurch ausgelaugte Boden oder aber mordende Stämme die Ursache? Die Archäologen und Ethnologen wissen darauf keine Antwort. Es fehlen konkrete und eindeutige Hinweise darauf, was nach dem Jahr 1300 mit den Anasazi wirklich geschah. Die Anasazi – Ethnologen vermuten, das es sich dabei um die Vorfahren der Hopis und Pueblos handelt – hinterließen lediglich Tausende ihrer markanten Felsenhäuser, zum Teil sogar mit noch ungebrannten Tontöpfen auf der Töpferscheibe. Was auch immer der Grund war, die Anasazi mussten anscheinend unvorbereitet und überstürzt ihre Siedlungen verlassen.
Hinweise, die für eine Dürreperiode sprechen, sind freigelegte Massengräber mit den Skeletten verhungerter Indianer sowie die Funde von Baumrinden und Pflanzenresten in den Wohnbereichen, die solche Notzeiten in der in Frage kommenden Zeit belegen. Verwirrend sind jedoch die Funde angesägter Menschenknochen. Wurden möglicherweise den Regengeistern aus Verzweiflung Menschenopfer erbracht? Derartige Riten waren nach Meinung von Völkerkundlern eigentlich bei den Anasazi nicht üblich.
Eine weitere mysteriöse Spur entdeckten Wissenschaftler der Arizona State University: Christy und Jacqueline Turner fanden heraus, dass zahlreiche Knochen Spuren von Kannibalismus tragen und schlussfolgerten daraus, dass die Anasazi vielleicht durch „Menschenfresser“ ausgerottet wurden. Mexikanische Eindringlinge sollen dabei nach Meinung der Wissenschaftler einer mehrtägigen massenmörderischen „Speisung gefrönt“ haben. Die Identität der Kannibalen konnte durch die Kratzspuren der Zähne auf den Knochen der Opfern relativ genau festgestellt werden, da es bei diesem mexikanischen Stamm üblich war, Jade und Türkis-Edelsteine in die Zähne zu implantieren.
Unter Umständen wurden die Anasazi damals auch durch fremde Herrscher unterdrückt, und der Kannibalismus war das Mittel, um sie gefügig zu machen. Als die Herrschaft der „Menschenfresser“ ins Schwanken geriet und vielleicht sogar durch eine Revolte der Anasazi vollends zerstört wurde, verließen die befreiten Anasazi – so die These der Wissenschaftler – ihre Heimat, die zum „Tal des Schreckens“ geworden war. 800 Jahre lang blieb die Region danach nahezu menschenleer.
Doch welche der möglichen Theorien, die Richtige ist, weiß bis heute keiner genau. Das Verschwinden des geheimnisvollsten Indianervolkes Nordamerikas bleibt weiterhin ein großes Rätsel…
Stand: 08.11.2003