Was hat es mit den geheimnisvollen Linien von Nazca auf sich? Wo haben sie ihren Ursprung, wie entstanden die Bodenbilder und was bedeuten sie? Wissenschaftler verschiedener Disziplinen haben versucht, diesen Fragen mit emhr oder minder großem Erfolg auf den Grund zu gehen…
Bewässerungsgräben oder astronomische Bedeutung?
Der Entdecker der Geoglyphen Paul Kossok hatte zuerst angenommen, es würde sich bei den Scharrbildern um Bewässerungsgräben handeln. Doch als er zufällig am 22. Juni 1941 – dem Tag der Wintersonnenwende – beobachtete, dass eine der Linien, in der er gerade stand, fast genau auf die untergehende Sonne zulief, lag ein Zusammenhang der Linien mit einer astronomischen Bedeutung für den Forscher auf der Hand. Schnell war der Begriff „Das größte astronomische Buch der Welt“ – als Bezeichnung für die Hochebene – geboren. Kossoks Arbeit setzte dann die deutsche Wissenschaftlerin Maria Reiche, die ihr Leben überwiegend der Erforschung und Erhaltung der Scharrbilder widmete, fort. Sie war es, die seine Theorie schließlich auch populär machte.
Maria Reiche
Aber wer war Maria Reiche? Maria Reiche begann 1924 das Studium der Mathematik, Physik und Geographie an der Technischen Hochschule in Dresden und legte vier Jahre später ihr Staatsexamen in diesen Fächern sowie in Philosophie und Pädagogik ab. Danach ging sie bereits nach Peru und begann 1946, auf Bitten von Kossok, selbst Forschungen in der Pampa von Nazca anzustellen. In der Folge zeichnete, vermaß und katalogisierte sie die Linien. Mit der Zeit lichtete sich der Schleier, der über dieser längst vergangenen Kultur liegt, ein wenig.
Die Fragen, die Reiche seit Entdeckung ihres ersten Scharrbildes jahrelang beschäftigten, waren: Wie konnten die Zeichnungen, trotz ihrer enormem Dimensionen, technisch und künstlerisch so einwandfrei im trockenen Boden der Pampa geschaffen werden? Und vor allem, was steckte überhaupt für ein Sinn hinter diesen riesigen Figuren?
Wie Kossok war auch Maria Reiche von einem astronomischen Hintergrund überzeugt. Sie meinte, in den auf den ersten Blick ungeordneten Figuren und Linien, die Sternbilder des Himmels über Nazca wiederzuerkennen, und glaubte in der Hochebene eine riesige Kalenderanlage vor sich zu haben. Die Forscherin war davon überzeugt, dass diese astronomischenm Bildnisse dazu dienten, symbolisch die Wiederkehr des Wassers zu signalisieren. Die Symbole „Wasser“ und „Fruchtbarkeit“ standen und stehen auch heute noch im Mittelpunkt des Denkens der Menschen in dieser Region. Durch die immer wieder periodisch auftretenden Dürrezeiten im Andengebiet erscheint dies leicht nachvollziehbar.
Aber auch wichtige Ereignisse des Jahresrhythmus könnten mit den Nazca-Linien festgelegt worden sein. Das Affenbild beispielsweise entspricht der Sommersonnenwende. So viele Indizien sie für ihre Theorie auch sammelte, Maria Reiches Vorstellung vom riesigen Astronomie-Kalender ist bis heute nicht eindeutig bewiesen.
Schutz der Nazca-Linien
1955 sollte die Pampa von Nazca mit Hilfe eines groß angelegten Bewässerungssystems in eine Baumwollplantage umgewandelt werden. Maria Reiche konnte jedoch dieses ehrgeizige Vorhaben, dass die Zerstörung der Bodenbilder bedeutet hätte, gerade noch verhindern. In den folgenden Jahren wurde der Schutz der Pampa zu einer ihrer wichtigsten Aufgaben. Ihre 40-jährige Forschungsarbeit, verbunden mit unermüdlichem Einsatz zur Erhaltung der Geoglyphen, führte schließlich dazu, dass die empfindlichen Wüstenbilder 1995 unter den Schutz der UNESCO gestellt wurden.
Da war allerdings bereits ein Teil durch Straßenbau und neugierige Touristen zertrampelt und zerstört. Heute hat sich der „Verein Dr. Maria Reiche – Linien und Figuren der Nazca-Kultur in Peru e.V.“ sowie die Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Dresden die Erhaltung der Nazca-Linien zur Aufgabe gemacht.
Die Macht der „kleinen grünen Männchen“
Doch Maria Reiches Erklärungsversuch für die Nazca-Linien ist nicht unumstritten. Wie immer bei derart mysteriösen Phänomenen gibt es noch eine Vielzahl anderer Meinungen und Theorien. Dabei wurden gelegentlich sogar Außerirdische für diese rätselhaften Erscheinungen verantwortlich gemacht.
In bezug auf die Nazca-Linien wurden verschiedene Spekulationen angestellt: Der Fotograf und Pilot Jim Woodman war davon überzeugt, dass die Indianer bereits Heißluftballons besaßen und so die Bilder konstruierten und von oben bewunderten. Wieso sollten sie schließlich solche Zeichnungen erschaffen, wenn sie sie niemals sehen konnten? Er entwarf sogar nach der Technik der Nazca Ballons aus Baumwolle und Gondeln aus Binsen vom Titicacasee, um seine These zu belegen. Er wollte zeigen, dass die Indianer durchaus bereits über die notwendigen technischen Fähigkeiten und das benötigte Material dafür verfügten.
Der Schweizer Henri Stierbein deutete die Bahnen der Scharrbilder dagegen als große Ebene zur Montage der Ketten für Webzwecke. Da die Peruaner der damaligen Zeit weder Rad noch Drehscheibe kannten, stellte er sich die Frage, mit welcher Technik die großen Mengen von Fäden für ihre umfangreiche Textilproduktion ansonsten geordnet werden konnten. Bekannt sind auch die Deutungen von Erich von Däniken. Er meint in den Nazca-Linien einen Weltraumbahnhof mit Start- und Landebahnen für Außerirdische zu erkennen. Er sieht diese Zeichen als „Beweis“ für die Existenz außerirdischer Zivilisationen an, die bereits die Erde besucht haben sollen.
Heilige Stätten oder rituelle Pfade
Wissenschaftler sprechen im Zusammenhang mit den Geoglyphen auch von heiligen Stätten oder rituellen Pfaden früherer Kulturen, auf denen gegangen, gerannt oder auch getanzt wurde.
Doch hundertprozentige Beweise gibt es bis heute für keine der Thesen. Auch die Frage, warum die Nazca-Indianer ausgerechnet in der verlassenen Pampa diese riesigen Bildnisse anlegten, ist noch immer nicht geklärt…
Stand: 08.11.2003