Zoologie

Der Kiwi

Schon bald ein ausgestorbenes Wappentier?

Klar – jeder kennt die Kiwi. Sie ist klein, außen braun, innen grün, stammt aus Neuseeland und bevölkert als hoch gelobte Vitamin C-Bombe oder „chinesische Stachelbeere“ die Obstabteilung der Supermärkte. Doch halt! Das ist (nur) die Kiwifrucht. Doch die Neuseeländer, die sich umgangssprachlich ebenfalls gerne selber als Kiwis bezeichnen, haben nicht die aus Asien importierte Obstsorte, sondern den Kiwivogel als nationales Wahrzeichen und Wappentier auserkoren.

Dabei ist der Kiwi ein äußerst seltsames Geschöpf der Evolution. Durch die frühe Isolation der neuseeländischen Inseln haben diese rundlich wirkenden, flugunfähigen Vögel ohne Fressfeinde und konkurrierende Säugetiere eine ganz eigene, eher vogel-untypische ökologische Nische besetzt.

Kiwiarten © Mount Bruce National Wildlife Centre

Den richtigen Riecher

Im Gegensatz zu den meisten Vogelarten, können die nachtaktiven Bodenbewohner schlecht sehen. Primäres Sinnesorgan ist der stark ausgeprägte Geruchssinn. Einzigartig in der Vogelwelt ist dabei die Position der Nasenlöcher. Diese sitzen nicht wie normalerweise üblich, an der Schnabelwurzel, sondern an dessen Spitze.

Auf der Suche nach Nahrung stochern sie immer wieder mit ihrem langen Schnabel im lockeren Boden und Laub herum und erschnüffeln lautstark schniefend ihre Beute selbst schon oberhalb des Erdreichs. Haben sie einen Leckerbissen gefunden gibt es kein Entrinnen mehr: Wie ein Hund wird mit den muskulösen Beinen und den klingenscharfen Krallen kräftig gebuddelt bis der Regenwurm frei liegt und laut schmatzend verschlungen werden kann. Damit die sehschwachen Vögel auf den nächtlichen Streifzügen durch ihr mit Duftmarken abgegrenztes Revier nicht überall anecken, haben sie zusätzlich am Schnabelansatz verlängerte Federn. Diese helfen ihnen ähnlich wie die Schnurrhaare von Raubkatzen bei der Orientierung.

Der nachtaktive Kiwi © Mount Bruce National Wildlife Centre

Nächtlicher Lauschangriff

Neben der empfindlichen Nase besitzen die schwanzlosen Kiwis, deren Federkleid eher einem samtig-weichen Fell ähnelt, auch ein äußerst scharfes Gehör. Hat sich ein junges Kiwipärchen einmal gefunden, bleiben sie sich für den Rest ihres Lebens treu. Doch trotz strenger Monogamie leben Henne und Hahn getrennt voneinander und treffen nur selten in einer ihrer vielen, tagtäglich wechselnden Schlafhöhlen aufeinander.

Durch nächtliche Rufe bleiben die beiden Partner jedoch ständig in Kontakt und stecken im Duett singend auch gleichzeitig ihr gemeinsames Territorium ab. Auf den über weite Strecken hörbaren Schrei des körperlich kleineren Männchen, ein „ki-wi, ki-wi“, folgt dabei die knatschende Antwort des Kiwi-Weibchens – ein Geräusch wie beim öffnen einer rostigen Tür. Schiebt sich dazwischen ein fremder Ruf, wird der eingedrungene Artgenosse, aber auch Jäger wie Katzen und Hunde, furchtlos mit kräftigen Fußtritten und den messerscharfen Krallen äußerst aggressiv vertrieben.

Röntgenaufnahmen einer hochschwangeren Henne © Mount Bruce National Wildlife Centre

Groß, größer, am größten

Etwa drei Wochen nach der Paarung legt das Weibchen ein einziges riesiges Ei, dass fast ihren ganzen Körper ausfüllt. Das Größenverhältnis Körper-Ei beträgt dabei rund 15 bis 20 Prozent. Im Vergleich zum Strauß, dessen einzelne Eier nur etwa zwei Prozent der mütterlichen Körpermasse wiegen, ein Monsterei.

In den letzten Tagen vor der Eiablage kann das Weibchen aus Platzgründen verständlicherweise keine Nahrung mehr zu sich nehmen und überlässt bei den meisten Kiwiarten dem Männchen das anschließende Ausbrüten. Bis zum Schlüpfen des Kükens vergehen dabei, ähnlich der Tragzeit von kleineren Säugetieren, bis zu 80 Tage. Für Vögel eine ungewöhnlich lange Entwicklungszeit, die der mit 37 bis 38 Grad relativ niedrigen Körpertemperatur der Kiwis zugeschrieben wird. Die durchschnittliche Körpertemperatur von Vögeln liegt zwischen 39 und 45 Grad Celsius.

In seinem Verhalten und durch seine eigentümliche Lebensweise ist der neuseeländische Kiwivogel dem in unseren Breiten heimischen und ebenfalls nachtaktiven Dachs am ähnlichsten. Daher erstaunt es wenig, wenn Experten vom Kiwi gelegentlich auch als eine Art „honorably mammal“ – einem „Säugetier ehrenhalber“ sprechen.

Steckbrief

  • Familie: Apterygidae
  • Arten: Zwergkiwi (Apteryx owenii, Little Spotted Kiwi), Haastkiwi (Apteryx haastii, Great Spotted Kiwi), Streifenkiwi (Apteryx australis, Brown Kiwi), Rowi (Apteryx rowi) und Tokoeka (Unterarten: Haast Tokoeka und Southern Tokoeka)
  • Verbreitung: Neuseeland
  • Höchstalter: 40 bis 60 Jahre
  • Körperhöhe: je nach Art 35 bis 80 Zentimeter
  • Ernährung: Insekten, Schnecken, Regenwürmer, Obst und Flusskrebse
  • Fortpflanzung: monogam; ein bis drei Eier pro Jahr
  • Besondere Merkmale: flugunfähig, nachtaktiv, extrem territorial
  • Feinde: der Mensch und importierte Raub- und Haustiere (Ratten, Marder, Possums, Hunde und Katzen)
  • Bestand: Von 1998 bis 2003 sank die Anzahl der Kiwis von 78.000 auf 70.000. Besonders gefährdet sind der Rowi und Haast Tokoeka mit weniger als 250 adulten Tieren.
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Stand: 30.09.2003

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Flugunfähige Vögel
Kiwis, Kakapos, Takahe & Co

Vogelparadies Neuseeland
Wenn der Mensch die Natur verpfuscht

Ein Land unter Quarantäne
Arten- und Naturschutz live

Der Kiwi
Schon bald ein ausgestorbenes Wappentier?

Der Kakapo
Ein Eulenpapagei und seine Bodyguards

Die Takahe-Ralle
Wiederentdeckung einer ausgestorbenen Art

Der Moa
Für immer verloren

Dodo, Dronte, Dödelvogel
Der "Tollpatsch" von Mauritius

Pinguine
Elegante Vielflieger unter Wasser

Familie Strauß
Laufvögel auf der Speisekarte

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